Rezension

Ein Ort der Düsternis...

Das Mädchen mit den gläsernen Füßen - Ali Shaw

Das Mädchen mit den gläsernen Füßen
von Ali Shaw

Bewertet mit 3.5 Sternen

Seltsame Dinge gehen auf St. Hauda´s Land vor: Eigentümliche geflügelte Kreaturen schwirren umher, in schneebedeckten Wäldern versteckt sich ein Tier, das mit seinem Blick alles in Weiß verwandelt, im Meer sind wundersame Feuerwerke zu beobachten … und Ida Maclaird verwandelt sich langsam, von den Füßen aufwärts, zu Glas. Nun kehrt sie an den Ort zurück, wo alles begann, in der Hoffnung, hier Hilfe zu finden. Doch stattdessen findet sie die große Liebe: Mit ihrer traurigen und trotzigen Art schafft Ida es, die Knoten in Midas’ Herzen zu lösen. Gemeinsam versuchen sie nun, das Glas aufzuhalten.

Er schlug die Augen auf. Irgendwo im Dunkeln tickte eine Uhr. Das war jener Teil der Nacht, in dem die Dinge unwirklich schienen, in dem sich ein Gedanke, den man bei Tageslicht einfach beiseiteschob, ins Bewusstsein krallen konnte und bis zum Morgengrauen nicht mehr abschütteln ließ...

Ida und Midas begegnen sich nur zufällig auf dieser wenig bevölkerten Insel - er auf der Suche nach interessanten Motiven und besonderen Lichteffekten für seine Fotografie, sie auf der Suche nach dem vielleicht einzigen Menschen, der ihr noch helfen kann. Ihre nahezu farblose Erscheinung und ihr seltsamer Gang sind das Erste, was Midas an Ida auffällt. Doch noch ahnt er nicht, welch seltsame Verwandlung die dicken Stiefel des Mädchens verbergen. Dick gepolstert sind Idas Füße, geschützt unter mehreren Lagen Socken, zu leicht sonst könnten sie Schaden nehmen - denn die Füße sind aus reinem Glas. Und stets schreitet die Verwandlung weiter voran, von Knochen und Fleisch und Blut in das spröde, durchsichtige Material, das so zerbrechlich ist. Als Midas schließlich zu einem späteren Zeitpunkt von dieser Absonderlichkeit erfährt, beschließt er, alles daran zu setzen, um Ida zu helfen. Um sie zu retten.

Er fragte sich, ob jemand wie sie, die vom Festland kam, die Wirrungen des Lebens hier auf den Inseln überhaupt verstehen konnte. Wo die Gerüchteküche größeren Einfluss hatte als das Fernsehen. Wo die Nachbarn Geheimnisse schneller aufspürten als Krähen Aas. und sogar noch schlimmer (denn Menschen konnte man noch ignorieren): Wie der Ort selbst immer wieder ungewollt neue Details heraufzuwürgen schien.

Was für ein unwirtlicher Ort! Karg und felsig, voller schroffer Klippen und unergründlicher Abgründe, sumpfig und morastig, kaum einmal Sonnenschein, Regen, Graupel und immer wieder Nebel, einsam gelegene Häuser, die Farbe von Wind und Salzwasser abgeschält, die jungen Menschen längst aufs Festland abgewandert, die Alten harren aus. Und die Menschen ein Abbild der Landschaft: schroff und wortkarg, einsame Gestalten im kümmerlichen Licht.

Der Schnee war so steif wie der Rest von St. Hauda's Land. Die Äste boge sich widerwillig im Wind, Laub zerfiel wie uraltes Pergament. Sogar ein Falke, den sie beobachtet hatte, war ohne jede Anmut dahingeflogen, mit mechanischen Flügelschlägen. Es schien, als wäre dies das Wesen dieser Inseln - die Dinge zu lähmen, ihnen die Lebenskraft zu rauben. Genau das tat dieser Ort mit ihr.

Voller dunkler Bilder ist diese Erzählung, traumartig anmutend oft das Geschehen, strotzend von düsteren Metaphern. Und auch der Leser wird gefangen in diesem Gespinst aus Einsamkeit und Traurigkeit, während er Ida und Midas begleitet auf der Suche nach einem Heilmittel gegen das Glaswerden, auf der Suche nach ihrer Liebe zueinander, auf der Suche nach sich selbst. Viel ist von der Vergangenheit die Rede, von der Sprachlosigkeit der Eltern, deren Verzweiflung angesichts der Umstände, der Hoffnungslosikeit, die sich immer wieder Bahn bricht. Und auch wenn die Sprache überaus bildhaft und oftmals nahezu poetisch ist, war diese eigentümlich düstere Stimmung, von der das Buch durchzogen ist, mir persönlich letztlich zu viel.

Und am Ende blieb doch auch so manche bedeutsame Frage offen und ließ mich etwas ratlos zurück. So hätte ich beispielsweise gerne gewusst, was eigentlich hinter dem Phänomen des Verglasens steckt, wodurch es ausgelöst wird und wen es befällt.

Ein wenig mehr Fantasy hatte ich hier erwartet, und sowohl der Klappentext als auch das wunderschön gezeichnete Cover bestärkten mich noch in dieser Annahme. Stattdessen erwarteten mich düstere und oftmals bedeutungsschwere Sequenzen, die sich mir sicher nicht immer in ihrer ganzen Komplexität erschlossen.

Durchaus mal etwas anderes, aber man sollte in der richtigen Stimmung sein, um dieses Buch wirklich genießen zu können...

© Parden

Kommentare

Naibenak kommentierte am 21. Juni 2016 um 09:08

Ach guck... dieses schöne Exemplar ziert auch mein Regal schon seit einer ganzen Weile, in der sehr dünn besiedelten Fantasy-Ecke ;) Dass es solch eine düstere Stimmung verbreitet, war mir gar nicht bewußt. Ich gebe aber zu, manchmal mag ich das tatsächlich und ich bin sogar ganz erfreut, dass es mit wenig Fantasy-Elementen auskommt ;) Vielen Dank für diese tolle und informative Rezi! Ich werde es bestimmt auch bald - in der richtigen Stimmung - lesen!

parden kommentierte am 26. Juni 2016 um 12:10

Ich bin sehr gespannt auf Deine Meinung! Durch diese unvorhergesehene ständige Düsternis hat mich das Buch irgendwie auf dem falschen Fuß erwischt. Mit der Vorinformation wäre ich mit anderen Erwartungen an die Lektüre gegangen, und - wer weiß? Vielleicht hätte es mir dann besser gefallen... :)