Rezension

Ein Rabbi, der sich verstrickt

Kains Opfer - Alfred Bodenheimer

Kains Opfer
von Alfred Bodenheimer

Bewertet mit 5 Sternen

Gegen Ende des Buchs stellt Rabbi Gabriel Klein Überlegungen zu Hiob an: dass dieser, noch als reicher, angesehener Mann, für jedes seiner Kinder Opfer gebracht habe, um Gott zu versöhnen, aufgrund der Sorge oder Vermutung, sie hätten Gott in ihrem Herzen verflucht. Und Klein denkt dazu: »Dieser Idiot! ...Warum ließ dieser Hiob nicht einmal den Dingen ihren Lauf? Die Kinder ihre eigenen Fehler machen? Das musste dem Satan und womöglich auch Gott selbst so unglaublich auf den Geist gegangen sein, dass sie ihm zeigten, wo es langgeht ... Und wie nannte Gott den Hiob, als er ihn dem Satan preisgab? ›Einen schlichten, geraden Mann.‹ Schlicht! Das konnte ein Ehrentitel sein, gewiss. Es konnte aber auch heißen: Ein unerhörter Blödmann ... Und nicht nur Hiob war ein Blödmann gewesen, er, Gabriel Klein, war ein noch viel größerer Blödmann.« (S. 213)

Nachdem der Rabbi den Fall gelöst hat, nimmt das Geschehen eine dramatische Wendung und hinterlässt einen am Boden zerstörten Rabbi – er hat sich eingemischt, eigentlich das Gute gewollt ... Ein bisschen ist dies ein Gegenentwurf zu Mephisto aus Goethes »Faust«, der sich als Teil der Kraft bezeichnet, die das Böse will und das Gute schafft.

Der Schluss ist ein Grund, warum ich Alfred Bodenheimers Krimi so mag: Es gibt nicht das eindeutig Richtige und es löst sich nicht alles in Wohlgefallen auf nach dem Motto: »Der Fall ist gelöst und der Gerechtigkeit Genüge getan«; stattdessen ist eine Situation entstanden, die nicht wiedergutzumachen und zu heilen ist. Man fühlt mit mit den Protagonisten und möchte den unglücklichen Rabbi in den Arm nehmen.

Ein weiterer Grund sind die Personen, vor allem der Rabbi, getrieben, weil ihn das Geschehen nicht mehr loslässt, und seine kluge Ehefrau Rivka – auch »eine beste Ehefrau von allen«, bestimmt so sehr wie die bei Ephraim Kishon –, die ihren Gabriel kennt, ihm in die Seele blickt, ihm, auf der Basis einer liebevollen gegenseitigen Beziehung, immer wieder mit Toleranz begegnet und nicht die Szene macht, die er sich verdient hat, da sie sieht, dass er am Boden liegt.

Ein kleines Beispiel für den Umgang der beiden:

Nach einer Bar Mizwa beschäftigt sich der Rabbi mit dem Mord, es wird wieder einmal besonders spät:

»Sein Telefon läutete erneut. Es war Rivka. ›Schatz? Kommst du wieder mal heim? Es ist nach elf.‹

›Ja. Was gibt es denn?‹

›Nichts Besonderes. Mich gibt es, frisch geduscht und eingecremt. Lass doch diese Bar-Mizwa-Fritzen sitzen.‹

›Ich bin schon so gut wie da‹, flüsterte Klein und schloss im selben Moment, so leise wir möglich, die Haustür auf.« (S. 115)

 

Der Fall, um den es geht, ist schnell skizziert: Nachum Berger, beliebter Lehrer der jüdischen Primarschule in Zürich und vor einiger Zeit noch zum Laubhüttenfest bei den Kleins zu Gast, wird tot aufgefunden – wobei erst unklar ist, ob es sich um Mord oder Totschlag handelt. Gabriel Klein, der Rabbi einer Zürcher jüdischen Gemeinde, wird von Kommissarin Karin Bänziger gebeten, für sie einige hebräische E-Mails von Berger zu übersetzen. Eine der Mails wirft ein neues Licht auf Bergers Privatleben. Klein, den der Fall nicht mehr loslässt, forscht nach, spricht mit Menschen, erfährt von Dingen, die das bisherige Bild von Berger ins Wanken bringen. Im Zuge seiner Nachforschungen, die ihn in Bergers Vergangenheit vor seiner Tätigkeit in der Schweiz führen, erfährt er von Details aus Bergers Leben, die ihn schließlich zur Lösung des Falls führen.

Zusätzlich zu dem, was mit dem Fall zu tun hat, erfahren Leser und Leserin auch einiges über jüdische Schriftexegese, über orthodoxe Juden in Israel und der Schweiz, über jüdische Ethik und Religiosität, über das Gemeindeleben, jüdische Feste und natürlich den Werdegang von Rabbi Klein. Bei all dem – was über eine »Krimi«-Handlung hinausgeht – hat der Roman für mich keine Längen.

Ich schließe mit einer Stelle, in der es auch um die Beziehung zwischen dem Rabbi und seiner Frau geht: »Sie [Rivka], die Einzige, schien zu wissen, wie sehr ihm nur das, nur eine Liebeserklärung in diesem Moment helfen, ihn aus seiner Einsamkeit, aus seiner Ratlosigkeit holen konnte. Vielleicht war dies ja das einzige Mordmotiv überhaupt: keinen zu haben, der einen auffangen konnte, wenn man es brauchte, sich von keinem anderen Menschen geschätzt und geliebt zu wissen. Dann war einem auch die Existenz der anderen womöglich nichts mehr wert. Er schaute Rivka dankbar an.« (S. 41)

Kommentare

wandagreen kommentierte am 24. September 2017 um 19:18

Also dein erstes Zitat verleidet mir das Buch schon gründlich. Wer hier der Idiot ist, ist für mich damit beantwortet.

Steve Kaminski kommentierte am 25. September 2017 um 08:56

Bodenheimer (Prof. für jüdische Literatur- und Religionsgeschichte) lässt den Rabbi verschiedene Interpretationen der Kain-und-Abel-Geschichte wie der Hiob-Geschichte vornehmen. Das, was ich zitiert habe, ist eine Zuspitzung, die dem Rabbi aufgrund der Situation in den Sinn kommt, die er heraufbeschworen hat. Der Rabbi liest im Roman u.a. ein Buch mit Interpretationen der Hiob-Geschichte: teils überraschende oder vielleicht auch provokante Interpretationen, aber das gehört ja zum Judentum, dass man sich den Sinn der Schrift immer wieder von anderen Seiten her betrachten und ihn befragen kann.

Naibenak kommentierte am 25. September 2017 um 09:40

Danke für deine tolle Rezi! Ich las erst kürzlich einen Roman über orthodoxe Juden, den ich sehr geliebt habe (Die Hochzeit der Chani Kaufmann). Dies hier scheint dem zu ähneln und deine Zitate (Ehepaar) sind wirklich sehr berührend und zeugen von einer liebevollen Schreibe... Aber auch der Fall an sich klingt sehr interessant. Ich werde das Buch unbedingt auf meine WuLi setzen!!! :)

Steve Kaminski kommentierte am 25. September 2017 um 12:15

Danke, Bi! Ich hab gerade mal geguckt: Rezensiert hast  Die Hochzeit der Chani Kaufmann aber bisher nicht, oder? Ich habe in Amazon mal reingeguckt: Sprachlich dürfte Die Hochzeit der Chani Kaufmann viel dichter sein als Rabbi Klein - das Buch ist sprachlich o.K., aber ohne literarischen Anspruch.

Naibenak kommentierte am 25. September 2017 um 12:18

Nee...leider habe ich das nicht geschafft mit einer Rezi :( Aber okay, danke für die Info!!! Interessiert mich aber trotzdem sehr. Wie gesagt - deine Zitate sind schon sehr schön!!!! :)

Steve Kaminski kommentierte am 26. September 2017 um 00:01

Ich bin über Rezensionen hier (von Winfried Stanzick) auf Bodenheimer gestoßen, etwa http://wasliestdu.de/rezension/wieder-eine-gelungene-mischung-aus-krimi-..., wenn Du magst, kannst Du auch da mal gucken, das hilft vielleicht Deinem Urteil, ob das etwas für Dich sein kann.

Naibenak kommentierte am 26. September 2017 um 09:03

Mensch Stevie... du bist so gut zu mir! DANKE!!!! <3 Und schönen guten Morgen übrigens ;) Ich schau mir das mal an!!!

Steve Kaminski kommentierte am 26. September 2017 um 09:41

Gerne, Bi! :-) Und: guten Morgen!