Rezension

Ein richtiger Wälzer – aber es lohnt sich!

Und die Erde wird zittern - Douglas Smith

Und die Erde wird zittern
von Douglas Smith

Bewertet mit 5 Sternen

»Noch vor seiner grausamen Ermordung in einem Petrograder Keller in den letzten Tagen des Jahres 1916 war Rasputin in den Augen vieler Menschen weltweit zu einer regelrechten Personifizierung des Bösen geworden. Seine Schlechtigkeit, so erzählte man sich, kenne keine Grenzen, und sein Geschlechtstrieb lasse sich nicht stillen… Dank der den russischen Bauern angeborenen Gerissenheit wusste er ganz genau, wie er Zar und Zarin den einfachen Mann Gottes vorspielen konnte. Er brachte sie mit seinen Tricks dazu, zu glauben, er könne ihren Sohn Alexei retten und mit jenem letztlich die Dynastie. Sie gaben sich und das Zarenreich in seine Hände, doch er verriet das Vertrauen, das sie in ihn setzten, mit seiner Gier und Verderbtheit, zerstörte die Monarchie und trieb ganz Russland in den Ruin. So sagte man.«

Grigori Jefimowitsch Rasputin – die schillerndste Persönlichkeit, der bekannteste Name der russischen Geschichte. Jeder kennt ihn, jeder hat ein ordentliches Maß an Halbwissen über ihn. Neben dutzenden von Biographien gibt es zahlreiche Romane und Filme über ihn, Dokumentationen, Theaterstücke und Songs. Bars, Restaurants und Diskotheken tragen seinen Namen, eine Computer-Software ist nach ihm benannt, eine Comic-Serie und eine Action-Figur. Man begegnet ihm in Videospielen, in japanischen Mangas und Animes und im Getränkemarkt, denn (ungemein passend) wurden auch ein Bier und eine Wodkamarke nach ihm benannt.

 

Wer war dieser Rasputin wirklich? Wie viel Wahrheit steckt in all den Geschichten? Konnte ein einzelner Mann so einen großen Einfluss haben?

 

Douglas Smith ist Historiker und Übersetzer. Er arbeitete für das U.S. State Department in der Sowjetunion, als Russisch-Dolmetscher für Ronald Reagan, war als Russland-Spezialist für Radio Free Europe / Radio Liberty in München tätig und hat für sein Werk bereits verschiedene Auszeichnungen erhalten.

In dieses Buch hat er 6 Jahre Arbeit gesteckt und sehr umfangreiche Recherchearbeiten durchgeführt. Eben weil es so viel Literatur über Rasputin gibt, gestaltete sich die Arbeit schwierig. Vieles wurde mit der Absicht niedergeschrieben, Rasputin zu schaden und/oder eine bestimmte Ansicht zu verbreiten. Zu ein und demselben Vorfall gibt es die unterschiedlichsten Schilderungen, wie soll man da die Wahrheit finden? Douglas Smith hat versucht, jede nur mögliche Originalquelle zu sichten. Das Quellenverzeichnis im Buch hat einen beeindruckenden Umfang! Im Gegensatz zu vielen Biographen vor ihm konnte er auch sowjetische Archive einsehen, die Akten über Rasputin enthalten, bis Ende des 20. Jahrhunderts aber für Forscher gar nicht zugänglich waren.

Wie verarbeitet er jetzt diese vielen Fakten? Nun, während er Rasputins Geschichte erzählt, legt er zu jedem möglichen Ereignis die verschiedenen existierenden Versionen der Ereignisse einschließlich seiner eigenen Sichtweise dar. Ich fand das sehr gelungen, ermöglicht es doch dem Leser, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Klingt langatmig? Ist es aber nicht. Denn der Autor versteht es, wirklich gut und fesselnd zu schreiben, ich war selber überrascht, wie leicht sich das Buch las.

 

Und ich habe so viel erfahren! Vieles über den Mythos Rasputin wird vermutlich immer ungeklärt bleiben, aber ich habe jetzt schon das Gefühl, der wirklichen Person näher gekommen zu sein. Überrascht las ich, dass er weder der erste, noch der letzte Prediger war, der Einfluss auf die Romanows hatte. Ich erfuhr, dass der damals herrschende Zeitgeist dies alles überhaupt erst möglich gemacht hat und stellte mir beim Lesen und noch im Anschluss immer wieder „was-wäre-gewesen-wenn“-Fragen. Das Buch wirkt nach, es eröffnet neue Sichtweisen, informiert und unterhält durch einen wirklich guten Schreibstil.

 

Zur Abrundung gibt es neben einem umfangreichen Anhang mit - unter anderem - einem gelungenen und hilfreichen Register zwei große Karten und zahlreiche interessante Fotos und Abbildungen.

 

Fazit: Ein richtiger Wälzer, aber es lohnt sich! Eine volle Leseempfehlung für diese großartige Biographie!

 

»Der Glaube an das Übernatürliche, an dunkle Kräfte, die Russland still und heimlich in Richtung Apokalypse steuerten, wobei der Teufel höchstpersönlich am Ruder war – all das kam in der öffentlichen Wahrnehmung Rasputins zusammen. Man kann gar nicht genug betonen, dass Rasputins Image, wie es sich in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg herauskristallisierte und bis zum heutigen Tag erhalten hat, weniger auf seine Person, seinen Charakter und das, was er tatsächlich tat, zurückzuführen ist als vielmehr auf den Zeitgeist im Russland des anbrechenden 20. Jahrhunderts – einen Zeitgeist, der auf krankhaften Vorstellungen basierte. Kosmische Kräfte bestimmten die Zukunft des Landes, und die Tatsache, dass es einem einfachen Bauern nicht nur gelungen war, sich in den Palast einzuschleichen, sondern auch das absolute Vertrauen des Zaren zu gewinnen, konnte nur eines bedeuten: Entweder war er ein von Gott gesandter Engel oder ein Diener des Teufels.«