Rezension

Ein sehr gelungener Thriller mit spannenden und aktuellen Themen

Tödliche Sure - Wolf Thorberg

Tödliche Sure
von Wolf Thorberg

Bewertet mit 5 Sternen

Ein sehr gelungener Thriller mit spannenden, aktuellen Themen. Toll und witzig erzählt. Eine klasse Unterhaltung. Eine klare Leseempfehlung!

Es fängt mit einem kleinen, alten Afghan-Teppich an, den Herr Eschenbach, ein erfahrener Teppichhändler, im Iran für eine Million Euro kauft und nach Deutschland einführt. Der Teppich soll eine geheime Botschaft enthalten, die die Welt verändern wird. Herr Eschenbach will die Botschaft entziffern, aber er kommt nicht dazu. Erst passieren seltsame Dinge: Er wird in seinem Umkreis als verrückter Paranoiker abgekanzelt, seine Frau will eine Scheidung und spätestens als er von der Bildfläche plötzlich verschwindet, wird es ernst. Scheich Tabrizi, im englischen Exil mit seinem Hof lebend, hat großes Interesse an dem Teppich und scheut keine Kosten und Mühen, auch die Menschenleben nicht, um den Afghan in die Finger zu bekommen, denn von der geheimen Botschaft verspricht er sich schon einiges, u.a. eine Sensation in der islamischen Welt und die Macht. Die Kanzlei, die Eschenbach kurz vor seinem Verschwinden beauftragt hat, übergibt die Sache an Margarete Pfennig, eine junge, aufstrebende Anwältin. Und Grete legt los.

Entführung, Folter, Mord auf der spannenden Jagd nach dem sagenumwobenen Teppich, uvm. erwartet den Leser der Tödlichen Sure. Man ist immer mitten drin, nicht nur wenn die Ermittler nach und nach die Situation erkunden und ihre oft waghalsigen wie gefährlichen Aktionen durchführen, auch im Reich Tabrizis bekommt man einschlägige Einblicke in seine Machenschaften.

Dabei werden die aktuellen Themen der heutigen Gesellschaft faszinierend wie realistisch dargeboten: Umgang mit den Kindern der Einwanderer, Rolle der Frau im Okzident wie im Orient, Vertrauen, Freundschaft und Liebe sind in den Erzählteppich gekonnt hineingewoben worden und weisen sowohl eine sehr gute Recherche wie auch ein tiefes Verständnis der behandelten Themen auf. Anhand von einigen Figuren wurden die heutigen Jugendlichen gezeigt, die mangels Orientierung und Aussichten auf eine Ausbildung, bzw. eine Tätigkeit, die sie wirklich reizt, zu den Opfern religiöser Fanatiker werden. Deren Handlanger kennen die Probleme der Jugendlichen in der westlichen Welt und nutzen die Situation zu ihrem eigenen Vorteil oft erfolgreich aus.

Diese Erzählstränge  machen den Roman aktuell und lebensnah, und helfen den Lesern die Situation solcher jungen Männer mit Migrationshintergrund zu verstehen. Sie haben oft Probleme, sich in diese Gesellschaft einzugliedern: bei den Einheimischen kommen sie kaum an, in der Schule wird es schwierig, vor dem Hintergrund fällt es leichter in die Arme religiöser Führer zu laufen, wo sie Anerkennung finden und mitmachen dürfen. Die Schilderung, wie diese armen Teufel rekrutiert werden, ist sehr gut und deutlich am Beispiel von Rahim gezeigt, der für die Mission des Scheichs Tabrizi eingespannt wird, ähnlich wird es vermutlich im realen Leben ablaufen.

Gerade bei diesem Thema und den entsprechenden Erzählsträngen sehe ich Parallele zum Krimi aus Amsterdam „Das Büro der einsamen Toten“ von Britta Bolt. Dort spielen die Kinder der Migranten aus dem Orient auch eine große, ja tragende Rolle. Ihre Schicksale als Aussätzige der westlichen Gesellschaft werden in beiden Romanen gekonnt, realistisch wie bildhaft dargestellt: In beiden Romanen (Bolt, Thorberg) wird gezeigt, wie orientierungslose Jugendliche zu Mördern mutieren, ohne, dass sie solche Karriere von sich aus anstreben oder sich so etwas wünschen. Man fragt sich: Was will diese Gesellschaft mit all den jungen Menschen anfangen? Sie weiterhin ausgrenzen, bei der Vergabe der Ausbildungsplätze und Jobs ignorieren, damit sie keinen anderen Weg sehen als sich den Fanatikern welchen Couleurs auch immer anzuschließen, um dann mit voller Inbrunst der Überzeugung zu lamentieren, dass es alles bloß Kriminelle wären? Beim Lesen beider Romane steht die Frage im Raum: Ist denn das nötig, dass die westliche Gesellschaft durch ihr arrogantes wie gefährliches Verhalten einen reichhaltigen Boden für Macher solcher Art schafft und die Jugendliche ihrer Zukunft beraubt?

Ein anderes Thema, das mir bei der Tödlichen Sure ins Auge gesprungen ist: die Rolle der Frau. Die Darstellung der Frauen der westlichen Welt und der islamisch geprägten Sekte von Tabrizi ist nicht nur sehr gut gelungen, sie lässt einen Vergleich ziehen und zu bestimmten, nicht besonders schmeichelhaften Schlüssen kommen. Mit einem Augenzwinkern werden hier die grundliegenden Punkte angesprochen: Grete, eine Frau der westlich geprägten Welt, hat studiert, bekam ihren Job, aber ihre Tätigkeit als Anwältin in der Kanzlei wird im Wesentlichen von Männern dirigiert und bestimmt. Wichtige Entscheidungen werden von Männern getroffen. Frauen im Orient wie im Okzident haben diese Entscheidungen zu akzeptieren, sich zu fügen und/oder zu versuchen das Beste daraus zu machen. Bloß der Rahmen ihrer Bewegungsfreiheit ist von Männern gesetzt. Weiterer Punkt: Frauen beider Seiten werden im Alltag gedemütigt. Bei Tabrizi Frauen ist es etwas deutlicher ausgeprägt, läuft auf einer etwas andern Ebene ab, Grete aber bleibt davon auch nicht verschont. Jedoch Frauen beider Seiten müssen sich dem herrschenden männlichen Prinzip fügen: divide et impera (lat.), i.e. teile und herrsche. Denn gerade dieses Verbindende, wie wir auch dem Roman entnehmen, das Islam und Christentum innehaben, wird in manchen (entscheidenden, männlichen) Kreisen nicht gern gesehen. Kein Wunder: erfolgreich geherrscht wird dort, wo es Trennung gibt. Trennung gebiert Befremdung und Angst. Beängstigte Menschen sind leicht zu beherrschen. Nach dem Verbindenden zu suchen gehört eher dem weiblichen Prinzip an. Und wie wir auch deutlich sehen, welchen Platz die Frauen und ihre Herangehensweise an die Gesellschaftsordnung in dieser von den Männern regierten Welt annehmen, wird es wohl noch lange so bleiben, wie es ist, vorausgesetzt, dass die Männer diese Welt mit ihrem Herrschen durch Trennung nicht schon viel früher zugrunderichten.

Ferner habe ich bei der Lektüre an Tana French und ihrem letzten Krimi „Geheimer Ort“ denken müssen. Darin stellt sie u.a. die Frage: Ist es die richtige Art, wie wir mit den jungen Menschen umgehen, welche Ausbildung, welche Werte sie von uns vermittelt bekommen? Was heute der Jugend gegeben wird, bekommen wir morgen selbst von ihr serviert.

So viel zu den Gedanken, die „Tödliche Sure“ bei mir hervorrief.

Die Geschichte an sich ist leicht: es wird, mitunter gefährlich und rasant, nach dem alten Teppich gejagt. Es gibt dabei feinen Humor und ein gutes Stück Ironie, viele lebenskluge Beobachtungen und gelungene Sätze, sowie realistische Darstellungen der von Islam geprägten, wie der westlichen Gesellschaft.

Die beiden Ermittler, F. und Grete, habe ich sehr gerne durch ihre Abenteuer begleitet – es wird u.a. nach England und Iran gereist- und ich würde gerne wieder von den beiden und ihren Abenteuern hören.

 F. ist schon ein Schmuckstück vom Ermittler. Ein promovierter Philosoph, gleichzeitig ein Yogalehrer, der als Privatdetektiv gearbeitet hat und doch noch den letzten Fall auf Gretes Drängen annimmt.

Grete erscheint ihr Bürojob doch etwas zu Dröge, da jagt sie viel lieber mit F. den Geheimnissen des alten Teppichs nach. Dass dies auch im Interesse von ihrem Mandanten, wie der Kanzlei geschieht, passt schon ganz gut.

Die Professorin Rank-Kühnemann, Inhaberin des Lehrstuhls Orientalistik und Islamwissenschaften an F.s Uni, hat mir auch sehr gut gefallen. Sie begleitet F. bei seinen Ermittlungen im Iran, sorgt u.a. dafür, dass das Geheimnis der letzten Sure gelüftet wird, die Botschaft an die Nachkommen gelangt und ein Desaster verhindert wird.

Die Handlung ist spannend. Mal temporeich, mal langsamer, mal romantisch oder humorig angehaucht.

Die Sprache ist schön klar und leicht zu lesen.

Die Idee an sich, wie ihre Auflösung mit der dazugehörigen Botschaft, finde ich hervorragend. Die Umsetzung und die Komplexität der Themen ist sehr gut gemeistert worden. Insgesamt gesehen, gefällt mir das Werk viel besser, als die hochgejubelten Bemühungen mancher bekannter Bestsellerautoren.

Fazit: Ich halte den Roman für sehr gelungen. Daher vergebe ich die wohl verdienten 5 Sterne und eine uneingeschränkte Leseempfehlung.