Rezension

Ein Sommer, so flüchtig wie ein Windhauch

Der endlose Sommer - Madame Nielsen

Der endlose Sommer
von Madame Nielsen

Bewertet mit 5 Sternen

Eine Gruppe von Personen verschiedenen Alters, die sich in Dänemark auf einem ehemaligen Gutshof zusammen finden, steht im Mittelpunkt des Romans „Der endlose Sommer“ der dänischen Performance-Künstlerin, Autorin und Sängerin Madame Nielsen. Dieser eine Sommer brachte den Hofbewohnern Liebe wie Leichtigkeit und gleichzeitig Leidenschaft. Das Glück der Erde, das bekanntlich auf dem Rücken der Pferde liegt, kann der Charaktere der Mutter als Reiter genießen, das Festhalten an den unbeschwerten Tagen gelingt aber nur auf dem Papier. Daher ist Madame Nielsens Roman wie ein Abgesang auf die Jugend, von der wir uns wünschen, dass sie nie zu Ende geht.

Die Erzählung beginnt mit einem 19-jährigen Jungen, der ein 17-jähriges Mädchen kennenlernt und zu ihrem festen Freund wird. Das Mädchen lebt mit Mutter, Stiefvater und zwei kleinen Halbbrüdern auf dem „weißen“ Hof. Sie hat außerdem noch einen besten Freund und Vertrauten, der sie gerne besucht. Ihr krankhaft eifersüchtiger Stiefvater, dem der Hof gehört, ist längst verschwunden, als das Mädchen eines Tages von der Schule nach Hause kommt und vom portugiesischen Brieffreund ihrer Sitznachbarin und dessen Freund erzählt, die zu Besuch in Deutschland sind. Die beiden Portugiesen im Alter von dem Mädchen ziehen zu ihr und die Mutter verliebt sich in einen von ihnen. Die Gruppe wird noch ergänzt von einem Freund der Jungen aus Odense. Gemeinsam genießen sie die scheinbare Auflösung des Unmöglichen auf dem Scheitelpunkt ihres Lebens.

Ausdrücklich, weil mehrfach, betont Madame Nielsen, dass der Junge mit dem alles beginnt, vielleicht ein Mädchen ist. Dabei habe ich mich gefragt, wie viel die Autorin aus ihrem eigenen Leben in den vorliegenden Roman eingebracht hat. Ohne lange Umschweife geriet ich als Leser in den endlosen Sommer durch endlos erscheinende Sätze, denn die Schicksale der Figuren verknüpft Madame Nielsen mit zahlreichen Nebenhandlungen in Teilsätzen. Ich geriet in eine Erzählfolge, die unmittelbar nach der Vorstellung des Jungen am Anfang des Romans mit einer offenen Klammer beginnt, die niemals geschlossen wird und die dadurch den Gedankenfluss nicht abreißen lässt. Die Autorin weist dadurch dem Jungen eine vorrangige Bedeutung zu. Der Rest ist Erinnerung, flüchtig, nicht mehr zurückholbar und erscheint manchmal sogar unwirklich, nie dagewesen. Dennoch versucht Madame Nielsen diesen Windhauch der Vergangenheit einzufangen in Worte.

Was nun folgt sind Skizzen vieler Leben, von denen einige sich streifen. Von Beginn an stellt die Autorin fest, dass die Erzählung nicht gut ausgeht, denn der Tod lauert auf alle von uns, aber für einige tragischer Weise früher als auf andere. Die Stränge der Geschichte behält sie fest in der Hand, verweist ausdrücklich auf den Beginn um danach um etliche Ecken abzubiegen, zahlreichen Nebenfiguren Leben einzuhauchen, kurz innezuhalten, nach vorne zu schauen und auf der Geraden sich wieder dem endlosen Sommer zuzuwenden. Zeitlos, geschlechtslos, alterslos, ortungebunden kommt dieser daher, obwohl jeder Charakter nach Identität strebt. Aber der Alltag holt jeden ein, auch die kleine Hofgruppe.

Wie ein expressionistisches Gemälde, mit schnellen Strichen zu Papier gebracht, und Ereignissen wie Farbkleckse, präsentiert sich „Der endlose Sommer“. Entsprechend einem Bild entdeckte ich bei näherer Betrachtung beziehungsweise dem erneuten Lesen vorangegangener Seiten weitere Nuancen und Feinheiten, die mich noch tiefer eintauchen ließen in diese einzigartige Jahreszeit, bei der es keinem gelingt, sie festzuhalten. Lesen, erinnern, träumen!