Rezension

Ein spannendes Buch, dem der letzte Pfiff fehlt

AchtNacht
von Sebastian Fitzek

Bewertet mit 4 Sternen

Benjamin, kurz Ben, hat eigentlich schon genug Probleme. Sein Leben ist alles andere als geregelt. Eigentlich schlägt er sich als Musiker durch, doch seit er mit seiner Teenagertochter an Bord einen Autounfall verursacht hat und Jule dabei beide Beine verloren hat, ist er wie aus der Bahn geworden. Er trinkt und lebt in den Tag hinein. Doch sein größtes Problem hat er plötzlich am 8.8. Denn in der AchtNacht wird eine Person ausgewählt, die 12 Stunden lang vogelfrei ist. Sie kann von jedem registrierten Jäger straffrei getötet werden. Und als Belohnung winken auch noch 10 Millionen Euro.

Ich muss jetzt ein wenig ausholen. Alle lieben Sebastian Fitzek, seine Bücher verkaufen sich wie warme Semmeln und wenn man an seinen Büchern mal Kritik äußert, dann wird man schon mal schief angeschaut (so mein Gefühl). Da musste ich es natürlich selbst auch mal versuchen. Also habe ich vor Jahren zum „Seelenbrecher“ gegriffen – und war irgendwie nur mäßig begeistert (übrigens auch bei meinem ReRead vor einigen Monaten). Dafür fand ich Fitzeks Zusammenarbeit mit Michael Tsokos, Berlins bekanntesten Rechtsmediziner, „Abgeschnitten“ unglaublich gut. Also zusammengefasst: immer, wenn die gesammelte Buch- und Bloggerwelt unglaublich begeistert von einem Fitzekbuch ist, dann finde ich die Story nur so lala. Und wenn einmal tatsächlich Kritik geübt wird, dann bin ich dafür total von den Socken. Da „AchtNacht“ bisher kaum wirklich begeisterte Rezensionen abbekommen hat, kannst Du Dir vielleicht denken, wie mir das Buch gefallen hat?

Die ersten 70 Seiten war ich etwas verwirrt. Erwartet hatte ich, dass man direkt in die AchtNacht-Geschichte einsteigt, doch stattdessen beherrscht eine andere Tragödie die Handlung. Bens Tochter, gerade seit kurzem Studentin und mit eigener Wohnung, hat sich mit ihrem Rollstuhl vom Dach ihres Studentenwohnheimes gestürzt. Wollte sich Jule umbringen, da ihr beide Beine fehlen? Doch Ben glaubt nicht an einen Selbstmordversuch, er ist sich sicher, dass da jemand nachgeholfen hat. Aber was hat das alles mit der AchtNacht zu tun?

Dann wird Ben, scheinbar völlig unabhängig vom Beginn der Story, als AchtNächter gezogen, also als diejenige Person, die die nächsten 12 Stunden vogelfrei sein soll. Plötzlich ist er nirgends mehr sicher. Doch er ist nicht der einzige, der von halb Berlin gejagt wird. Eine zweite Person, eine junge Studentin, wurde aus dem Topf gezogen. Arezu findet Ben direkt zu Beginn des Abends und nun versuchen sie gemeinsam, sich die Meute vom Hals zu halten.

Die Idee hinter „AchtNacht“ ist einfach nur genial, wenn auch nicht unbedingt neu. Sie verspricht schon von Haus aus eine Menge Spannung. Etwas Sorge hatte ich allerdings, dass dem Buch nachher vor lauter Verfolgung und Hetze ein wenig der Inhalt fehlen wird. Diese Angst war allerdings unbegründet. Fitzek hat sich auch eine gut durchdachte Storyline einfallen lassen. Die Verfolgungsjagten halten sich in Grenzen, denn die find ich ja meist tierisch öde. Es geht nicht nur um die Hetze auf die AchtNächter, sondern Fitzek hat ihnen auch zwei ganze besondere Gegenspieler entgegengesetzt.

Mit Fitzeks Schreibstil kam ich in den vergangenen Büchern nicht immer so gut klar. Teilweise geht er mir einfach zu verwirrend vor, überschlägt sich in dem, was er erzählen möchte, was zu Lasten des Verständnisses geht. Und auch dieses Mal bin ich zwiegespalten. Zum einen las sich „AchtNacht“ wirklich flüssig, ohne dass ich auch nur an einer Stelle das Gefühl bekam, nicht mitten in der Geschichte zu sein. Fitzek bringt seine Idee und die Stimmung wirklich gut an den Leser heran. Die Kapitel sind allerdings stellenweise sehr kurz, was an sich kein Problem gewesen wäre. Wahrscheinlich waren die Unterbrechungen zwischen den einzelnen Kapiteln als Mittel gedacht, dass die Spannung schön hoch gehalten wird. Die Einschnitte sind meiner Meinung nach aber wirklich unnötig, wenn es direkt auf der nächsten Seite mit genau dieser Situation weiter geht. Meinen Lesefluss hat es dadurch einfach nur gestört.

Die Kritik, dass sich das Buch im Mittelteil etwas hinzieht (bei einigen Rezensionen gelesen), kann ich so nicht unterschreiben. Nicht einmal ein Sebastian Fitzek kann die Spannung über 400 Seiten zum Zerreißen gespannt halten. Ein Spannungsbogen zeichnet sich ja auch dadurch aus, dass es Hochs und eben auch Tiefs gibt. Und trotzdem hab ich mich über die komplette Länge gut unterhalten gefühlt.

Zum Ende hin laufen natürlich alle offenen Fäden wieder in einer Hand zusammen. Das Finale empfand ich als ganz in Ordnung, hat mich allerdings nicht vom Hocker gerissen. Dass Fitzek nicht für seine rührenden Happy Ends bekannt ist, da verrate ich wohl kein Geheimnis. Die losen Fäden laufen alle schön zusammen und es bleiben auch keine Fragen offen. Und ehrlich gesagt war die Idee, die hier nachher ans Licht kommt, auch wirklich nicht von schlechten Eltern, nur umhauen konnte sie mich trotzdem nicht. Das gewisse Etwas hat leider gefehlt.

Alles in allem bin ich mit geringen bis gar keinen Erwartungen an das Buch herangegangen. Die lediglich durchschnittlichen Rezensionen haben mich nichts Gutes ahnen lassen. Doch ich wurde überrascht von einer durchweg spannenden, nicht nachlassenden Geschichte, die ich so noch nicht gelesen habe. Der Fokus liegt gar nicht so sehr auf den Charaktere, sondern tatsächlich darauf, den Leser durch eine Nacht zu jagen, die diesen nicht mehr so schnell loslässt. Auch wenn das Buch bestimmt nicht das Beste ist, was der deutsche Buchmarkt zu bieten hat, so habe ich mich über einige Stunden unterhalten gefühlt und konnte mich aus dem Alltag ausklinken. Aufgabe also erfüllt…

 

© Nellys Leseecke - Lesen bedeutet durch fremde Hand träumen