Rezension

Ein toller "Familiengeheimnisroman"

Die Schwestern von Sherwood - Claire Winter

Die Schwestern von Sherwood
von Claire Winter

Bewertet mit 5 Sternen

Im Nachkriegsberlin erhält die angehende Journalistin Melinda ein rätselhaftes Paket, dem neben Liebesbriefen und Zeichnungen aus dem alten England eine Schachfigur beiliegt. Sie ist neugierig und fragt sich, wer ihr dieses Paket hat zukommen lassen. Ihre Recherchen führen sie schon bald nach Dartmoor zu einem alten Herrenhaus. Viele Geschichten ranken sich um den malerischen und geheimnisvollen Ort, so auch die der beiden Schwestern von Sherwood. Im Jahre 1881 ist Cathleen nun der ganze Stolz der Familie Sherwood, nachdem ihre hübsche Schwester Amalia nach einer Erkrankung taub ist. Doch die Schwestern verbindet ein unsichtbares Band, das kann auch die Mutter, die die Behinderung Amalias als Makel empfindet und sie am weiteren Aufstieg der Familie im gesellschaftlichen Rang hindert, nicht durchbrechen. Sie plant Böses, doch so leicht lässt sich Amalia nicht unterkriegen. Doch was verbindet die beiden Schwestern mit Melinda und was hat es mit dem rätselhaften Paket auf sich?

Mitreißend und bewegend ist diese Familiengeschichte, die in zwei Zeitebenen spielt und mich mitgenommen hat ins historische England und ins Berlin der Nachkriegszeit. Claire Winter alias Claudia Ziegler (bekannt auch durch ihre wundervollen historischen Romane) versteht es geschickt, den Leser in ihren Bann zu ziehen. Die beiden Erzählstränge sind jeweils klar voneinander getrennt, so dass ich keinerlei Probleme hatte, mich in der jeweiligen Geschichte zurechtzufinden. Dabei ist der Sprachstil angenehm zu lesen und ansprechend, durch die vielen Beschreibungen und die bildhafte Sprache konnte ich mir sowohl Berlin, noch in Trümmern und Schutt liegend, gut vorstellen, als auch Dartmoor mit seinen Geheimnissen und der unheimlichen Stimmung. Die Autorin hat es wirklich geschafft, Atmosphäre zu erzeugen und mich in die Geschichte hineinzuziehen, als ob ich selber dabei gewesen wäre.

Melinda ist eine sehr sympathische Frau, die auch in der schweren Zeit nach dem 2. Weltkrieg versucht, ihren Weg zu gehen. Als angehende Journalistin ist ihre natürliche Neugierde nur hilfreich, ihr Selbstbewusstsein hilft ihr, sich nicht so schnell unterkriegen und einschüchtern zu lassen.

Auch die beiden Sherwood-Schwestern sind mir sympathisch, obwohl sie unterschiedlicher nicht sein können. Gerade Amalia hat eine ganz rührende Art, die mir wirklich gefallen hat. Trotz ihres „Makels“ lässt sie sich nicht unterkriegen, ihr Mut und ihre Zielstrebigkeit konnten mich wirklich begeistern. Ihre Beziehung zu ihrer Schwester Cathleen ist liebevoll, die schwesterliche Verbundenheit beeindruckend. Cathleen wiederum ist eher ein romantischer Charakter – sie glaubt an die Liebe und wünscht sich nichts sehnlicher als eine eigene kleine Familie. Doch ihre Rolle ist tragisch, gerät sie doch ohne ihr eigenes Zutun zwischen die Fronten und kann ihr Glück leider nicht finden.

Wirklich beeindruckt hat mich das Thema der Taubheit im 19. Jahrhundert: hier hat die Autorin sehr gut recherchiert und wunderbar beschrieben, wie sich Amalia mit ihrer Behinderung arrangiert und die zu dieser Zeit schon sehr ausgetüftelte Gebärdensprache anwendet. Was Amalia fühlt, wie die Menschen mit ihr umgehen und wie sie die Demütigungen, die ihr entgegen gebracht werden, aushalten kann, all das ist wirklich sehr eindringlich beschrieben und hat mich tief beeindruckt.

Der Roman vereint wirklich alles, was ich bei Schmökern so liebe: ein spannendes Familiengeheimnis, eine ansprechende Kulisse, sympathische Charaktere und nicht zuletzt eine wenn auch tragische Liebesgeschichte – ich bin beim Lesen eingetaucht in andere Welten und kann dieses Buch wirklich uneingeschränkt empfehlen!