Rezension

Ein toller John Green, der nachdenklich macht.

Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken
von John Green

Bewertet mit 4 Sternen

»Das Leben reimt sich, aber nie an der Stelle, wo man es erwartet.« (S.152)

Dies ist mein erstes Buch von John Green, das ich beendet habe. Ich habe in der Vergangenheit bereits Paper Towns und Looking for Alaska angefangen, ich habe die Filme zu Paper Towns und The Fault in Our Stars gesehen – und ich kann guten Gewissens sagen, dass John Greens Geschichten immer etwas Besonderes sind. Auch mit „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ bzw. „Turtles All the Way Down“ ist das nicht anders.

Zunächst mal ist es ein sehr persönliches Buch, denn die Protagonistin Aza hat wie auch John Green selbst mit psychischen Problemen zu kämpfen. Sie hat Ängste, die ihre Gedanken beherrschen, die sie zu Dingen zwingen, die sie nicht tun oder nicht denken will. Als ein Milliardär, der Vater ihres alten Freundes Davis, verschwindet und eine Belohnung von 100.000 Dollar für Hinweise auf dessen Verbleib ausgesetzt wird, lässt sich Aza von ihrer besten Freundin Daisy dazu überreden, dem Verschwinden auf den Grund zu gehen und sich wieder mit Davis in Verbindung zu setzen. Es entspinnt sich keine Abenteuergeschichte, wie es der Klappentext andeutet, sondern eine Erzählung von Azas problematischem Alltag sowie ihren Schwierigkeiten in Sachen Freundschaft und Liebe.

John Greens Schreibstil ist angenehm zu lesen und wechselt stetig von einem humorvollen zu einem ernsteren Ton. Im einen Moment ist er tiefgründig und voller komplexer Gedankengänge, denen man zu folgen versucht, im nächsten werden die Unterhaltungen durch witzige Bemerkungen aufgelockert.

»In die Augen kann man jedem sehen. Aber jemand zu finden, der dieselbe Welt sieht, ist ziemlich selten.« (S. 14)

Zu Anfang wird man mit Azas Angst- und Zwangsstörung konfrontiert, die mich zunächst etwas überrumpelte, da man ohne Vorwarnung direkt hineingestoßen wird. Sie sitzt am Tisch in der Cafeteria und kann, während ihre Freunde sich über ein Kunstprojekt unterhalten, an nichts anderes denken, als an C. Difficile, ein Bakterium, das sich in ihrem Körper vermehren und zu einer lebensbedrohlichen Erkrankung führen könnte. Aus dieser Gedankenspirale ist sie unfähig auszubrechen, sie ist ihren Gedanken hilflos ausgeliefert. Im Laufe des Buches ist diese selbstverständlich immer wieder Thema und wird von Seite zu Seite unglaublich gut dargestellt, sodass man sich in Aza zumindest annähernd hineinversetzen kann. Azas Gedankengänge sind interessant geschrieben, sie ficht Kämpfe mit sich selbst aus und der Leser leidet mit ihr, hofft, dass sie sich gegen ihre Gedanken behaupten kann, und ist bedrückt, wenn es natürlich nicht so kommt.

»Es ist seltsam zu wissen, dass man gestört ist und nichts dagegen tun kann, weißt du? Es ist nicht so, dass man sich für normal hält. Mir ist klar, dass da ein Problem ist. Aber ich kann es einfach nicht lösen.« (S. 202)

Dieses Buch ist in vielen Punkten etwas Besonderes. Ich hatte nach der Lektüre des Buches tatsächlich das Gefühl, etwas gelernt, etwas für das Leben mitgenommen zu haben. Es gibt viele tiefgründige Gedanken, die geäußert werden, Gedanken, die ich persönlich noch nie hatte, die aber so interessant sind, dass ich mir immer noch den Kopf darüber zerbreche.

»ICH ist das Wort, das am schwersten zu definieren ist.« - »Vielleicht ist man das, was man nicht nicht sein kann.« (S. 82)

Zudem interessiert sich der männliche Gegenpart Davis für Astronomie und äußert im Laufe des Buches immer wieder Fakten, die mir bis dato fremd waren und mein Interesse geweckt haben. Ich habe mich öfter dabei ertappt, wie ich mein Buch zur Seite legte und bestimmte Dinge gegoogelt habe, um mehr darüber zu erfahren. Für mich ließ sich das Buch nicht einfach weglesen, ich war quasi dazu gezwungen, mich mit bestimmten Thematiken näher auseinanderzusetzen.

»Und Navi ist 550 Lichtjahre weit weg. […] Von hier aus können wir
nicht wissen, ob Navi vielleicht schon vor 500 Jahren explodiert ist.« - »Wow. Das heißt, wir sehen in die Vergangenheit.« (S. 105)

Leider muss ich sagen, dass in dem Buch handlungstechnisch nicht viel passiert. Es fehlt Dynamik und Spannung, was bei dem Thema nun mal nicht anders zu erwarten ist, das Lesen manchmal aber etwas träge macht.
 
Zudem kann man die Liebesgeschichte als „Nebenerscheinung“ bezeichnen. Sie ist kein Aspekt der Handlung, der den Leser glücklich macht oder ihm ein Lächeln aufs Gesicht zaubert – vielmehr handelt es sich um einen weiteren bedrückenden Aspekt, der Azas „Problem“ noch mehr in den Vordergrund rückt und verständlich rüberbringt, wie dieses ihr den Alltag schwerer macht. Auch die Freundschaft zu Daisy ist dort zu verorten. Daisy ist es, die Aza deutlich macht, dass Azas psychische Krankheit auch für ihre Mitmenschen nicht leicht ist, ja, vielleicht sogar anstrengend und schwer auszuhalten ist. Ich wusste ehrlich gesagt bis zuletzt nicht, ob ich Daisy mögen sollte oder nicht…
 

»Was ich sagen wollte, Holmesy, ist, ja, du bist anstrengend, und ja,
deine Freundin zu sein ist harte Arbeit. Aber du bist der faszinierendste Mensch,
dem ich je begegnet bin […].« (S. 235)

 

Ich glaube wirklich, dass dieses Buch etwas Besonderes ist – vor allem für all diejenigen, die selbst von Angst- und Zwangsstörungen betroffen sind und sich hierin eventuell wiederfinden und verstanden fühlen. Als Außenstehender ist es unglaublich schwer, sich darin hineinzufühlen, ich denke, man kann es nie wirklich verstehen, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Aber ich finde, dieses Buch vermittelt uns mit seiner einfühlsamen, nachdenklichen Art einen wirklich guten Eindruck.

„Man findet nie Antworten, sondern immer nur bessere Fragen.« (S. 263)
 

Fazit

Wer eine abenteuerliche Hinweissuche erwartet, ist hier an der falschen Adresse. Man begleitet Aza in ihrem Alltag, bangt, leidet und hofft mit ihr. Ein ruhiges Buch, das zum Nachdenken anregt. Ich vergebe 4 Sterne.