Rezension

Ein Versager, der doch keiner ist

Geschenkt - Daniel Glattauer

Geschenkt
von Daniel Glattauer

Bewertet mit 4 Sternen

Gerold Plassek arbeitet als Journalist bei einer Gratiszeitung. Wobei arbeiten eigentlich nicht das richtige Wort ist, das zu beschreiben, womit Gerold bei dem Gratisblatt die Zeit bis zum ersehnten Feierabend, und dem damit verbundenen Bier, totschlägt. Er wird dort eher auf einem Abstellgleis geparkt und mit wenig anspruchsvollen Aufgaben betraut. Das scheint ihm allerdings nichts auszumachen, denn Stress und Ehrgeiz sind für ihn Fremdwörter, und so kann er sich zwischendurch, auch ganz ohne schlechtes Gewissen, mal etwas Alkoholisches zu Gemüte führen. Man kann auch nicht behaupten, dass Gerolds Privatleben ausgefüllter ist, denn auch da tut sich, bis auf die regelmäßigen Kneipenbesuche mit seinen Kumpels, nicht viel. Gerolds behäbiges Leben bekommt eine völlig neue Wendung, als seine Exfreundin ihm nach 14 Jahren eröffnet, dass er Vater eines Sohnes ist. Da sie selbst beruflich nicht auf dem Abstellgleis gelandet ist, und für ein halbes Jahr ins Ausland geht, bittet sie Gerold darum, dass er seinen Teenagersohn nach der Schule mit ins Büro nimmt, damit der Junge dort seine Hausaufgaben erledigen kann. Mit wenig Begeisterung kommt Gerold der Bitte nach, denn für sein bequemes Büroleben kann er eigentlich keine Zeugen gebrauchen. Doch mit der Bequemlichkeit ist es sowieso vorbei, als ein anonymer Geldgeber sich von einer von Gerold verfassten Kurznotiz, über eine überfüllte Schlafstätte für Obdachlose, so angesprochen fühlt, dass er 10000 Euro in einem Umschlag spendet. Und das ist erst der Beginn einer geheimnisvollen Spendenserie, denn der anonyme Gönner scheint Gerolds Kurznotizen aufmerksam zu lesen und bei Notlagen helfend mit einem gefüllten Umschlag einzuspringen. Wer mag der anonyme Wohltäter sein? Und warum honoriert er ausgerechnet die Artikel des vermeintlichen Versagers Gerold?

 

Die Geschichte wird in der Ich-Perspektive, aus der Sicht von Gerold Plassek erzählt. Man schlüpft dadurch in die Haut des Hauptprotagonisten und taucht in seine Gedanken ein. Mit seiner Antriebslosigkeit, seiner gewöhnungsbedürftigen, bzw. nicht vorhandenen Arbeitsmoral und seinem deutlich überhöhten Alkoholkonsum, fällt es anfangs allerdings nicht ganz leicht, sich in dieser Haut auch wohlzufühlen. Denn Gerold versucht mit dem geringsten Widerstand durchs Leben zu gehen und dabei ist es ihm auch völlig egal, was sein Umfeld von ihm denkt.

Als Sohn Manuel in sein Leben, bzw. seinen Büroalltag tritt, beginnt Gerold sich langsam zu verändern. Denn Manuel bringt die Sachen gerne auf den Punkt und hat einen äußerst kritischen Blick. Ihm entgeht auch nicht, dass Gerold gerne trinkt und ständig nach Alkohol riecht.  Als die erste Spende eintrifft, und die Spekulationen beginnen, wer denn wohl der große Wohltäter sein mag, beginnt auch Manuel sich langsam für den Mann zu interessieren, in dessen Büro er jeden Nachmittag für die Hausaufgaben geparkt wird. Die langsame Annäherung zwischen den beiden wird glaubhaft beschrieben und schon bald stellt man fest, dass Gerold, der ja eigentlich wie ein totaler Versager wirkt, das Herz auf dem rechten Fleck hat und sehr humorvoll sein kann. Manchmal muss man sich zwar noch ein wenig für ihn schämen, doch er arbeitet daran, das zu ändern.

Der Schreibstil von Daniel Glattauer ist auch in diesem Buch wieder sehr angenehm lesbar. Er wirkt locker und leicht, sodass man förmlich über die Seiten fliegt und dem geheimnisvollen Geschehen folgt. Die Grundspannung, wer wohl der anonyme Gönner sein mag, und warum er sich ausgerechnet auf Gerolds Artikel versteift, ist durchgehend vorhanden.  Die weiteren Protagonisten, die man ja aus Gerolds Perspektive betrachtet, kann man sich mühelos vorstellen. Man entwickelt beim Lesen spontane Sympathien und auch Abneigungen und merkt dabei gar nicht, wie sehr man sich plötzlich mit dem vermeintlichen Versager Gerold identifiziert und mit ihm mitfiebert.

Ich habe mich beim Lesen von "Geschenkt!" sehr gut unterhalten. Obwohl ich zugeben muss, dass ich am Anfang ein paar Startschwierigkeiten hatte, mich in der Haut von Gerold Plassek wohlzufühlen. Doch das hat sich zum Glück sehr schnell gelegt, sodass ich diesen Roman in vollen Zügen genießen konnte. Die Handlung regt zum Nachdenken an, sodass mir die Geschichte um Gerold Plassek wohl noch lange in Erinnerung bleiben wird.