Rezension

Ein wunderbares Jugendbuch

Café Morelli - Giancarlo R. Gemin

Café Morelli
von Giancarlo R. Gemin

Bewertet mit 5 Sternen

Essen ist Leben

Nachdem mich G.R.Gemin mit seinem Debüt „Milchmädchen“ restlos begeistern hat, war die Freunde groß, als ich von seinem neuesten Werk „Café Morelli“ erfuhr. In dieser Geschichte gibt es Wiedersehen mit der kleinen walisischen Siedlung Bryn Mawr, in der auch schon Gemins letzte Handlung stattfand. Jedoch spielt sich in dieser Handlung alles etwas zentraler in der Innenstadt ab. Die High Street mit ihren Geschäften ist Dreh- und Angelpunkt der Geschehnisse in diesem Buch. Insbesondere das Café Morelli, welches seine glorreichen Zeiten längst hinter sich gelassen hat. Einst war dieser Ort ein Treffpunkt für Menschen, die eine Vorliebe für die italienische Küche hatten. Doch genau wie die anderen Geschäfte der High Street, verfällt auch dieses Café, weil die Kunden wegbleiben. Nur ein paar verlorene Seelen verirren sich noch hierher.
Der 14-jährige Joe ist der Enkel des italienischen Betreibers, der sich schon länger mit der Entscheidung herumplagt, das Café zu schließen. Joe kann das jedoch nicht einfach so hinnehmen. Schließlich ist dieser Ort ein wichtiger Teil seiner Familiengeschichte.

Haben Erwachsene ihre Fantasie verloren? Geben sie manchmal etwas zu früh auf, weil es aus ihrer Sicht einfach keinen Sinn mehr macht, an etwas festzuhalten - egal, wie wertvoll es ist? Joe hingegen hat eine blühende Fantasie und versucht mit vielen unkonventionellen Ideen, die nicht für jeden nachvollziehbar und rational sind, das Geschäft zu retten. Joe muss auf seinem Weg viele Niederlagen einstecken, gerade weil die Erwachsenen sehr lethargisch agieren, weil ihnen die Ideen fehlen und sie längst aufgegeben haben.

Das Herzstück dieser Geschichte und ein wichtiger Teil ist das italienische Essen. Nach vielen Jahren ist das Angebot im Café sehr begrenzt und als Leser ahnt man, warum es nur selten Gäste beherbergt. Frischer Wind und einen Hauch Dolce Vita weht erst mit der Ankunft einer weiteren Protagonistin durch das Café und durch die umliegenden Gassen: Joes Cousine Mimi reist nach einigen unvorhergesehenen Ereignissen aus Italien an, um zu helfen und versetzt mit ihren großartigen Kochkünsten alle in Verzückung – auch den Leser, denn oft waren die Beschreibungen sehr detailliert, sodass ich das Gefühl hatte, dass die Buchseiten bestimmte Düfte und Aromen, wie von italienischem Café oder speziellen Köstlichkeiten, verströmten und mir einen enormen Appetit bescherten.

Das Buch „Café Morelli“ ist viel mehr als eine Geschichte über ein altbackenes Café und der Kampf eines Teenagers für dessen Erhalt. Es ist vielmehr eine stimmungsvolle und manchmal melancholische Geschichte über die Suche nach den eigenen Wurzeln und einer Möglichkeit die eigene Familiengeschichte zu bewahren, gespickt mit einigen geschichtlichen Ereignissen aus der Vergangenheit von Bryn Mawr. Sehr gelungen fand ich auch, dass G.R.Gemin viele verschiedene Kulturen in die Handlung mit eingebracht hat, die die literarische Hauptfigur Joe mit einer erstaunlichen Offenheit auf wunderbare Weise zusammenführt.

G.R.Gemin hat sich für seine neue Geschichte erneut Charaktere ausgesucht, die ein Außenseiterdasein fristen, weil sie nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens stehen und trotzdem finden sie ihren Weg und sind bereit etwas zu wagen, auch wenn es viele Hürden zu überwinden gibt. Als Leser wird man sofort von diesen Protagonisten eingenommen und sympathisiert mit ihnen.
Trotz des einfach gehaltenen Schreibstils bekommt man beim Lesen nie das Gefühl, dass die Handlung zu leichtfüßig und ohne Tiefgang gestaltet wurde. Oft gibt es Missstimmungen, die zwischen den Zeilen mitschwingen. Diese werden vom Autor einfach benannt, ohne mit dem erhobenen Zeigefinger darauf zu reagieren. Viele Passagen sind mit gewichtigen Botschaften über Freundschaft und Familie versehen, die zeitlos sind.

Geschichten, die das Leben schreibt, sind für mich die schönsten. Schon in meiner Kindheit war ich völlig fasziniert von den Geschichten aus der Vergangenheit meiner Oma. Irgendwie waren diese Erlebnisse auch ein Teil von mir, denn ohne diese Geschehnisse würde es mich heute vielleicht nicht geben. Genauso empfindet es die literarische Hauptfigur Joe, als er seinem Großvater lauscht, der über die vielen manchmal auch dramatischen Ereignisse aus seiner Vergangenheit berichtet. Insbesondere diese Schilderungen bereichern dieses Buch und machen „Café Morelli“ zu etwas ganz besonderem.

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