Rezension

Eine dystopische Gesellschaftsvision

Der Circle - Dave Eggers

Der Circle
von Dave Eggers

Bewertet mit 3.5 Sternen

Geheimnisse sind Lügen. // Teilen ist Heilen. // Privatsphäre ist Diebstahl. - Das sind die goldenen Regeln des Circles. Drei Slogans, mit denen Eggers nicht nur auf Orwells "1984" verweist, sondern die Idee eines Überwachungsstaates auch ins digitale Zeitalter überträgt. Doch längst ist es nicht mehr "Big Brother", der alles und jeden beobachtet. Wir selbst werden zu Schöpfern einer gläsernen Welt, in der nichts mehr dem einzelnen gehört.

Nach "Zeitoun" und "Ein Hologramm für den König" greift der amerikanische Schriftsteller auch hier wieder hochaktuelle Themen auf und kreiert eine beängstigende Zukunftsvision. Mae Holland ist eine der glücklichen Angestellten des international beliebten Internetkonzerns "Circle". Eine Firma, die ihren Mitarbeitern alles bietet: hochmoderne Arbeitsplätze, Konzerte weltberühmter Popstars, ein von Sterne-Köchen zubereitetes 24-h-Buffet, Sportmöglichkeiten und jede Menge Partys.

Zehntausende junge, dynamische Beschäftigte arbeiten an neuen, visionären Ideen, die alle eins zum Ziel haben: Dem Menschen eine einzige Internetidentität zu bieten, über die alles abgewickelt werden kann. Die alle sozialen Netzwerke, Ämter und Banken überflüssig machen wird und darüber hinaus eine zentrale Sammelstelle für alle personenbezogenen Informationen wird. Doch damit nicht genug. Mithilfe von kleinen Kameras kann jede Stadt, jedes Geschäft, jedes Haus und jeder noch so abgelegene Ort beobachtet werden. Politiker, Circle-Mitarbeiter und Privatpersonen ermöglichen ihren Viewern mit einer Kamera, die sie um den Hals tragen, ihren gesamten Tag live mitzuerleben. Nichts bleibt mehr unbemerkt. Die Welt und das Leben werden transparent. Jeder hat Zugriff auf einen enormen Informationspool; keiner kann eine Straftat begehen, ohne sofort identifiziert zu werden; und niemand kann sich dem System entziehen, ohne gefunden zu werden.

Kurzum: Das totalitäre Überwachungssystem eines monopolistischen Unternehmens. Eine Ordnung, die moderne, technische Möglichkeiten mitsamt ihrem Entwicklungspotential ins Extreme führt. Eggers erschafft eine Dystopie, die nicht nur denkbar, sondern auch beängstigend nah zu sein schein. Und genau hier liegt vielleicht auch die Schwachstelle des Romans. Maes Naivität, ihre viel so leicht auszuräumenden Zweifel fügen sich wunderbar in das Gesamtkonzept des Romans, wirken aber gerade in Anbetracht der gegenwärtigen Diskussionen über den Schutz persönlicher Daten und der Privatsphäre befremdlich. Ohne nennenswerten Widerstand zu leisten, lässt Mae sich von den Vorteilen einer transparenten Welt überzeugen. Sie ist keine kritische Abweichlerin, kein Winston Smith, sondern eine dankbare Mitläuferin. Jegliches Misstrauen lässt sich mit wenigen Worten der Initiatoren aus dem Weg räumen; und die zahllosen Komplimente und bestätigenden Nachrichten im sozialen Netzwerk überschatten jedes negative Gefühl mit der Gewissheit, geliebt zu werden. Zehntausende junge, innovative und hochintelligente Mitarbeiter lassen sich völlig problemlos von wenigen Argumenten nicht nur überzeugen, sondern auch begeistern - stehen sie schließlich unter dem Druck, andernfalls nicht mehr Teil des soziales Netzwerks zu sein. Drohungen, psychische oder körperliche Bestrafen scheinen nicht notwendig. Dabei ist von Orwells überzeugender Subtilität bei Eggers nichts zu spüren. Die Manipulationstechniken sind erschreckend plump, die Gespräche durchschaubar, die Strategie des Circles offensichtlich. Es gibt keine Sprache zwischen den Zeilen. Nichts, was sich der Leser über das Gesagte hinaus noch denken könnte. Die Geschichte mitsamt seinen interpretatorischen Möglichkeiten wird ihm auf dem Silbertablett serviert.

Und auch wenn Eggers' Roman mit seiner dystopischen Gesellschaftsvision sowohl mit Spannung als auch mit einer guten Geschichtet aufwartet, drängt sich dem Leser die Schwachstelle des Romans unfreiwillig auf. Es fehlt die Komplexität. Die Heldin ist eine einfach gestrickte junge Frau, die manipulativen Techniken des Circles sind durchschaubar, es mangelt beim Lesen an gedanklichen Überraschungsmomenten - und an Subtilität und Tiefe. 

Kommentare

wandagreen kommentierte am 20. August 2014 um 13:37

Ich würde mir bei deiner Rezension noch ein persönliches Fazit wünschen, aber sonst hast du es gut rüber gebracht: ein Roman der Longlist, den ich mir schenken werde. Zeitoun habe ich gelesen, stellenweise fand ich es beeindruckend, stellenweise polemisch und einseitig.

wandagreen kommentierte am 07. Januar 2015 um 23:57

Ich habe es mir dann doch anders überlegt, Maren und lese den Roman nun doch, zumal es auf englisch noch mal anders ist. Ich bin schon zur Hälfte durch und habe extra noch mal zurückgeblättert auf deine Rezension, weil ich in Erinnerung hatte, dass du kritisch warst. Deine Einwände werde ich ggf. in meiner Rezension berücksichtigen :-D.

Nelebooks kommentierte am 28. November 2016 um 08:58

Ich habe das Buch auf dem SuB und kann mich schon die ganze Zeit nicht daz begeistern, es zu lesen. Mal sehen ob ich das noch mal mache.