Rezension

Eine einmalige Chance

Liebe und der erste Blick - Josh Sundquist

Liebe und der erste Blick
von Josh Sundquist

Inhalt:
Seit seiner Geburt ist Will blind. Mit dieser Einschränkung weiß er gut umzugehen. Doch immer wieder begegnet er sehenden Mitmenschen, die sich nicht in seine Lage einfühlen können. Bei seinem Wechsel an die neue Schule möchte er möglichst nicht auffallen. Er verzichtet auf eine Sonnenbrille und, soweit möglich, auf den Gehstock.
Als Cecily, eine der Mitschülerinnen plötzlich weinend das Klassenzimmer verlässt, reagiert Will überrascht. Die Lehrerin erklärt ihm, er hätte sie angestarrt. 
Nach der Aufklärung dieses Missverständnisses wird für ein Kunstprojekt ein Teampartner für Cecily gesucht. Keiner der Mitschüler meldet sich. Will zögert nicht lange. Er möchte den Vorfall von zuvor wieder gutmachen.
Während des Projekts kommen sich Will und Cecily dann auch näher. Aus einer Freundschaft entstehen tiefergehende Gefühle. Für Will jedoch scheint eine Beziehung nicht mit seiner Behinderung vereinbar. Doch dann bietet sich Will eine unglaubliche Chance. Eine experimentelle OP könnte helfen, dass er sein Augenlicht wieder gewinnt. Doch welchen Preis wird Will zahlen müssen, wenn er sich als Kandidat für dieses Projekt meldet?

Schreibstil:
Josh Sundquist konnte mich bereits auf den ersten Seiten seines Romans von seinem Schreibstil überzeugen. Der Leser lernt hier den Protagonisten Will kennen, der seit seiner Geburt blind ist und sich seine Umgebung mit den verbleibenden Sinnen Riechen, Fühlen, Hören erschließt. Nach dem Wechsel von einer Schule für Sehbehinderte auf eine Allgemeinschule entstehen schnell erste Konflikte. Der Konrektor begegnet Will mit den üblichen Vorurteilen. Er greift nach Wills Hand und bittet ihn, sein Gesicht zu ertasten. Anstatt pikiert zu reagieren, begegnet Will seinem Gegenüber mit Humor. Er lehnt dankend ab, schlägt aber vor, ihn hinter dem Ohr zu riechen. Die Reaktion des Rektors führte nicht nur zu einem Schmunzeln bei Will, sondern auch bei mir.
Will hat gelernt seinen Platz in der Welt zu finden. Er weiß, wie er sich einen Weg einprägen und schließlich selbstständig bewältigen kann. Sicherlich gibt es Situationen, wie zum Beispiel der Besuch eines Einkaufszentrums, in dem ständig irgendwelche Hindernisse wie Rolltreppen, kniehohe Springbrunnen und Menschenmassen auftauchen, die Will gerne meidet. Doch mit Hilfe von Apps, Brailleschrift, Hörbüchern oder Siri (Apples Assistentin) gelingt es ihm, nahezu selbstständig seinen Alltag zu bewältigen.
Will möchte und braucht kein Mitleid. Das wird schnell klar. Dennoch ist sein Alltag geprägt von erschrockenem Schweigen oder vielfachen Entschuldigungen, wenn der Gesprächspartner erkennt, dass Wills Handeln seiner Behinderung geschuldet war.
Will wird an der neuen Schule Freunde finden. Das erste Zusammentreffen mit dem fünfköpfigen „Quizteam“ ist vielversprechend. Will möchte sich auf einen freien Stuhl setzen und landet unversehens auf dem Schoß eines Mitschülers. Dieses Missverständnis führt zu einem ersten Kontakt zu den Außenseitern der Schule, die in ihrer Freizeit gerne Brettspiele spielen und mit unnützem Wissen prahlen können. 
 
Gekonnt erzählt Josh Sundquist die Geschichte eines Jungen, dessen Alltag sich von dem eines sehenden Menschen erheblich unterscheidet. Für mich war es horizonterweiternd zu erfahren, welche Konflikte beim Zusammentreffen von sehenden und blinden Menschen entstehen können. So hilft es Will selbstverständlich nicht weiter, wenn ihn der Konrektor darauf hinweist, dass der neue Klassenraum an einer bestimmten zuvor abgegangenen Stelle rechts abgeht. Will muss auch diesen Weg erst erleben, um ihn sich anhand der gegangenen Schritte einprägen zu können. Den Konflikten des Alltags begegnet der Protagonist immer wieder mit einem humorvollen Kommentar oder Gedanken. Damit sorgt er einerseits für eine gewisse Erheiterung und erwirbt Sympathien beim Leser.
Josh Sundquist hat, so verrät er im Nachwort, viel recherchiert. Das merkt man seiner Geschichte an. Will bekommt im Laufe der Geschichte die Möglichkeit sich zu entscheiden, ob er an einer Versuchsreihe teilnehmen möchte. Wenn alles gut läuft, so kann er nach der Operation vielleicht wieder sehen.
So vielversprechend sich das in diesem Moment anhört, hier fangen seine Schwierigkeiten erst an. Selbst bei einem erfolgreichen Operationsverlauf ist es keinesfalls so, dass der Patient nach dem Eingriff die Augen öffnet und die Welt in allen Formen und Farben wahrnimmt. Die psychologischen Konflikte, die ein solcher Eingriff mit sich bringen kann werden in der Geschichte, aber auch im Nachwort, ausführlich geschildert. Diese Informationen waren für mich einerseits sehr interessant, aber zugleich auch schockierend.

Fazit: 
Liebe und der erste Blick ist weit mehr als eine Geschichte über Freundschaft und Liebe. Es ist ein Buch, das sich ausführlich mit den Gedanken und Gefühlen eines Jungen auseinandersetzt, der seit seiner Geburt erblindet ist und nun eine einmalige Chance bekommt. Eine Operation soll ihm helfen, das Augenlicht wiederzugewinnen.

Durch seine Wahrnehmung zeigt Will seinen Mitmenschen und auch dem Leser, was wirklich wichtig ist im Leben. Auch wenn er mit seinen Augen nicht sehen kann, so nimmt er doch so viel mehr wahr als seine Umwelt.

Josh Sundquist schafft mit „Liebe und der erste Blick“ eine Geschichte, die berührt, die zum Nachdenken anregt und die aufklärt. Er erschafft mit Will einen Protagonisten, der anders ist und der Wünsche und Träume in sich trägt. Der aber auch kein Mitleid haben möchte. Will begegnet seinem Umfeld mit seinem ganz eigenen Humor.

Dieses Buch erzählt eine fesselnde und zugleich bewegende Geschichte, die ich Lesern empfehlen möchte, die offen sind für eine neue, nicht längst erprobte Perspektive.

Buchzitate:
Ich spüre den Gurt ihrer Kamera, die selbst jetzt bei der Party und in diesem Kleid über ihrer Schulter hängt. Das liebe ich an Cecily. Allzeit bereit, Schönheit festzuhalten.