Rezension

Eine Familie im Nachkriegsberlin

Das Sonnenkind - Detlev Meyer

Das Sonnenkind
von Detlev Meyer

Bewertet mit 4 Sternen

„In seinem Kopf gibt es keinen Frieden, wochenlang herrscht Waffenstillstand, aber dann brechen die Kämpfe eines Nachts wieder auf, und Scholze stürzt in seine Erinnerungen.“ (S. 47)

Kindheit in einer Familie aus drei Generationen im Nachkriegsdeutschland: Detlev Meyer lässt den Leser hautnah miterleben, wie es ist, in dieser Zeit in Berlin aufzuwachsen, ohne dabei jedoch den Fokus von der Kindheit, vom Aufwachsen selbst und von den Menschen abzulenken.

Der kleine Carsten wird im Truseweg in Berlin Neukölln groß und an seiner Seite erleben wir die Familie, die Nachbarn und seine ganze Welt (die so viel mehr als den Truseweg nicht zu umfassen scheint). Die Handlung scheint leicht zu sein, doch davon darf man sich nicht täuschen lassen: Wir blicken schnell tiefer als die Fassaden es eigentlich zulassen möchten, und sehen Wesenszüge an den Figuren, die diese gern verborgen hätten.

Die Vermutung liegt nahe, dass die biografische Nähe seines kleinen Helden zu Detlev Meyer selbst der Grund dafür ist, dass das ganze Buch sich so glaubwürdig und echt liest. Dem Leser wird nichts auf die Nase gebunden, beinahe kommt das Gefühl auf, man entdecke die Welt zusammen mit dem kleinen Carsten, und manchmal möchte man ihn knuddeln, manchmal für das dem Kind eigene leicht übersteigerte Selbstbewusstsein schütteln. Und dann sind da noch die vielen anderen: Der große Bruder, der sich im Spannungsfeld zwischen Kindheit und Erwachsensein aufhält; die Mutter, die auch nicht nur tugendhaft ist; der Vater, der ein bisschen vom Krieg im Kopf mitgebracht hat; die Oma, die aus der Zeit der Kaiser und Grafen noch nicht über die Weltkriege mitgekommen ist; und schließlich der Opa, der über einige Aspekte seiner Vergangenheit lieber den Mantel des Schweigens breitet.
Viele kleine Figuren sind es, die dort aufeinandertreffen, und die im Zusammenspiel ziemlich facettenreich agieren.

Insgesamt bietet „Das Sonnenkind“ spannende Einblicke in eine Zeit vor unserer, es hebt den Vorhang vor den gutbürgerlichen Fünfzigern und lässt immer wieder tief blicken.
Sehr zu empfehlen ist übrigens auch das Nachwort von Matthias Frings, in dem er den Roman in das Leben seines Schriftstellers einordnet.