Rezension

Eine faszinierende Mischung aus Thriller und Fantasy

Ich bin kein Serienkiller - Dan Wells

Ich bin kein Serienkiller
von Dan Wells

Normalerweise tue ich mich sehr, sehr schwer mit soziopathischen Charakteren - besonders Charakteren, die einen deutlichen Drang zu Mord und Gewalt haben. In diesem Buch, dank der Schreibkünste von Dan Wells, hat es der 15-jährige John Wayne Cleaver jedoch mühelos geschafft, nicht nur mein Interesse, sondern auch mein Mitgefühl zu wecken.

Ja, er ist ein Soziopath. Er empfindet Liebe und Freundschaft nicht, wie es "normale" Menschen tun. Er hat kein Gespür dafür, was richtig und was falsch ist. Er hat Gewaltfantasien und ist besessen von Serienkillern. Wenig macht ihn glücklicher, als im Bestattungsunternehmen seiner Mutter dabei helfen zu dürfen, die Leichen zu balsamieren. Ihm ist erst im Alter von 8 Jahren klargeworden, dass andere Menschen es nicht unterhaltsam finden, Tiere zu quälen.

Aber seit dieser Zeit - seit ihm bewusst ist, dass er anders ist - kämpft er darum, ein guter Mensch zu sein. Er hat Angst davor, zum Serienkiller zu werden, und er tut alles, wirklich ALLES, um das zu verhindern. Er beobachtet seine Mitmenschen akribisch, um zu lernen, was genau diese für richtig und falsch halten, und imitiert dann ihr Verhalten. Er übt sich darin, Emotionen erkennen zu lernen. Nach und nach hat er sich ein strenges Regelwerk zusammengestellt, um seine gewalttätigen Tendenzen im Schach zu halten und so normal wie möglich zu erscheinen. Zum Beispiel besagt eine Regel, dass er jedes Mal, wenn er das Gefühl hat, einen Menschen verletzten zu wollen, diesem sofort und auf der Stelle ein Kompliment machen muss, um von den gefährlichen Gedanken wegzukommen.

Für mich hatte das etwas Rührendes, sogar Herzzerreißendes. John ist wie eine makabre Version von Pinocchio - er will verzweifelt ein echter Junge werden, ein normaler Junge! (Tatsächlich wollte Dan Wells dem Buch erst einen Titel geben, der sich darauf bezog, aber der Verlag war dagegen.)

Da wir die Geschichte durch Johns Augen sehen, bekommen wir natürlich ein leicht verzerrtes Bild, besonders was andere Menschen betrifft. Aber ich hatte dennoch den Eindruck, dass seine Mutter und seine Tante ihn über alles lieben, auch wenn sie manchmal aus Hilflosigkeit falsche Entscheidungen treffen. Auch Johns Schwester kommt vor, bleibt aber eher ein periphärer Charakter, da sie im ständigen Konflikt mit Johns Mutter liegt.

Es ist an sich schon originell, einen jugendlichen Soziopathen zum Protagonisten eines Buches zu machen - das übrigens in Großbritannienn als Jugendbuch vermarktet wird und in Deutschland als Thriller für Erwachsene -, aber Dan Wells geht noch einen Schritt weiter: er vermischt zwei Genres, die nicht oft Hand in Hand gehen: Thriller und Urban Fantasy. Ich spoilere nicht, wenn ich sage, dass John es mit echten Dämonen zu tun bekommt, weil er das direkt innerhalb der ersten Seiten anspricht. Meine erste Reaktion war leichte Enttäuschung. Um ehrlich zu sein hatte mich an dem Buch gerade das Psychologische gereizt - das, was im echten Leben tatsächlich so passieren könnte.

Aber im Laufe des Buches habe ich mich mit dieser Mischung angefreundet, und sie gefiel mir immer besser. Ich fand den Kontrast interessant: ein Junge, der sich selber für ein Monster hält (oder zumindest für einen zukünftigen Serienkiller) stellt sich dem Kampf gegen ein richtiges, echtes Monster mit Hörnern und Klauen. Das Tragische daran ist, dass das echte Monster es einfacher findet, sich in die menschliche Gesellschaft zu integrieren, als John.

Spannend war das Buch für mich von der ersten bis zur letzten Seite - wobei ich die Passagen, in denen eigentlich nicht viel passiert und wir nur mehr Einblick in Johns Seelenleben bekommen, fast noch spannender fand als die rasanten Actionszenen! Es hat mich schon lange kein Charakter mehr so fasziniert.

Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen, allerdings muss ich sagen, dass die deutsche Übersetzung etwas an Charme und Flair verliert. (Ich habe das gedruckte Buch auf deutsch und das eBook auf englisch.) Dennoch liest sich das Buch auch auf Deutsch gut, und ich fand faszinierend, wie komplex und schlüssig der Autor seinen jugendlichen Antihelden porträtiert.
Das Buch hat Humor, aber es ist ein oft böser, morbider Humor - oft auch ein unfreiwilliger Humor, wenn John etwas sagt, was andere Menschen fälschlicherweise für einen Witz halten.

Romantik ist bei einem soziopathischen Protagonisten natürlich ein Widerspruch in sich. John ist fasziniert von einem Mädchen in seiner Schule, aber seine Faszination nimmt oft beängstigende Züge an... Dennoch habe ich mich manchmal gefragt, ob John nicht vielleicht doch fähig zu einer Art von Liebe ist. Das wird in den nächsten beiden Bänden sicher wieder aufgegriffen!

Eine ungewöhnliche Mischung aus Thriller und Urban Fantasy, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt hat. Besonders der jugendliche Held, der sich selber für ein Monster hält, hat mich interessiert und fasziniert und berührt.