Rezension

Eine Frau lebt ihren Traum

Speck zu Gold - Dorit David

Speck zu Gold
von Dorit David

Bewertet mit 5 Sternen

„...Es prickelt, perlt und rieselt; das Glücksgefühl verpulvert sich rasend und überall in meinem Körper zerstäuben Schmetterlinge. Ich explodiere vor Freude...“

 

Ursula Maschke arbeitet als Schwester im Seniorenheim Colette. Sie kann gut mit den alten Leuten umgehen, hat aber immer die Uhr im Nacken.

Als alleinerziehende Mutter hat sie es nicht leicht mit Miro, ihren Jüngsten. Der Junge ist in der Pubertät und ihm ist es peinlich, dass seine Mutter nicht gerade schlank ist. Er ist ein Ästhet und bringt das auch seiner Mutter gegenüber zum Ausdruck. Zu ihrem Ex hat sie ein gutes Verhältnis. Die Scheidung ging ohne Schlammschlacht über die Bühne. Jürgen ist kein Mann für laute Worte.

Ursula musste in der Kindheit einen ihrer Träume begraben. Nach dreißig Minuten wurde sie beim Probetraining im Ballettunterricht mit vier oder fünf Jahren aussortiert. Doch der Wunsch zu tanzen, lebt immer noch in ihr. Als ihrer Freundin ein Prospekt in die Hände fällt, das für Burlesquetanz wirbt, ahnt Ursula nicht, wie sehr sich ihr Leben ändern wird.

Die Autorin hat einen inhaltsreichen Gegenwartsroman geschrieben. Ursula erzählt ihre Geschichte selbst.

Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen. Sämtliche Lebensbereiche werden in der Handlung angemessen berücksichtigt. Wiederholt wird die Arbeit im Seniorenheim thematisiert. Das folgende Zitat zeigt deutlich das Dilemma, vor denen die Altenpfleger tagtäglich stehen:

„...Im Moment stehe ich vor der Entscheidung, den alten Mann aufessen oder ausschlafen zu lassen. Der Zwiespalt zerreißt mich fast, denn dies ist eine ganz unpopuläre Entscheidung, die meinen Disziplin-Akku gefährlich anzapfen wird...“

Gleichzeitig wird in diesen Worten der feine Humor deutlich, mit denen Ursula ihre Arbeit beschreibt. Sie beschönigt nichts, weist auf die Schwierigkeiten und Probleme hin und erweist trotzdem den alten Menschen mit jedem ihrer Worte den nötigen Respekt.

In der Tanzgruppe erlebt Ursula ein völlig neues Lebensgefühl. Sie kann nicht nur ihren Traum leben, sie lernt es, ihren Körper anzunehmen und einen Tanz zu kreieren, der ihrem Wesen entspricht. Sehr gut beschrieben werden die unterschiedlichen Charaktere in der Gruppe. Man unterstützt sich gegenseitig und man hält zusammen. Cara, die Leiterin, geht auf die Befindlichkeiten jedes einzelnen ein und entwickelt kreative Tänze, die die Stärken hervorheben und die Schwächen ausblenden. Damit wächst das Selbstwertgefühl der Teilnehmer. Das ist auch notwendig, denn als Ursula voller Freude ihrer Familie vom neuen Hobby berichtet, stößt sie auf Ablehnung. Ihr Sohn zieht zum Vater und dessen Freundin. Das trifft Ursula hart, doch den Tanz und die Freundinnen aufzugeben ist für sie nicht mehr möglich.

Plötzlich interessiert sich auch wieder ein Mann für Ursula. Sie hielt sich für unattraktiv und ist von der Situation überrascht. Sehr behutsam wird beschrieben, wie die beiden sich immer näher kommen und was es für Ursula bedeutet, wieder begehrt zu werden.

Doch Licht und Schatten liegen eng beieinander. Ihre Freundin Kleo kann den Weg nicht mitgehen. An einer abwertenden Bemerkung scheint die Freundschaft zu zerbrechen.

Ausführlich werde ich mit Ursulas Gedanken vertraut gemacht. Ihre innere Entwicklung darf ich Schritt für Schritt miterleben. Ich lerne ihre Sorgen, ihre Zweifel, aber auch ihre Freude und Begeisterung kennen.

Obiges Zitat fällt nach einem öffentlichen Auftritt zu einem Wettbewerb in Berlin und einem darauffolgenden Telefonanruf. Was er beinhaltet, darf der zukünftige Leser selbst herausfinden.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Das lag zum einen an den erfrischenden Schriftstil, zum anderen an der Protagonistin und Ich-Erzählerin, die den Mut hatte, trotz aller Widerstände und Ablehnungen ihren Traum zu leben.