Rezension

Eine gekonnt und mit frischer Sprache erzählte Geschichte

Bei Sturm am Meer - Philipp Blom

Bei Sturm am Meer
von Philipp Blom

Bewertet mit 4.5 Sternen

Philipp Blom, Bei Sturm am Meer, Zsolnay 2016, ISBN 978-3-552-05793-7

 

Seinen nunmehr dritten Roman hat der in Wien lebende gebürtige Hamburger Philipp Blom hier vorgelegt. Es erzählt sprachlich anmutig und ambitioniert die Geschichte einer Familie über drei Generationen hinweg, eine Geschichte von zerplatzten Träumen und lebenslangen Lügen.

 

Ben heißt die 44- jährige Hauptfigur dieser durchaus spannenden Familiengeschichte voller Täuschungen  und Selbsttäuschungen. Er befindet sich in Amsterdam. Dorthin ist er gegen den Widerstand seiner Frau gereist, um dort die Urne seiner verstorbenen Mutter Marlene zu bestatten. Aber weil die Urne irgendwo auf ihrem Postweg verschollen ist, muss er mehrere Tage warten. Er nutzt diese Zeit, um seinem vierjährigen Sohn Ben einen Brief zu schreiben, den dieser lesen soll, wenn er erwachsen geworden ist. Für Ben selbst wird dieser Brief zu einer erschütterten Reise zu sich selbst:

"Ich will Dir alles erzählen und kann nur hoffen, dass du, wenn du in meinem Alter bist, selbst genug gelebt und gesehen hast, um jemanden zu verstehen, der gerade am Punkt des Scheiterns steht, der Protagonist einer absurden und improvisierten Familienkomödie."

 

Immer wieder taucht eine Metapher auf, die für seine eigene Lebenswahrnehmung gilt, wie auch für die seiner Großmutter Elly und seiner Mutter Marlene, das Gefühl „bei Sturm am Meer“, übrigens auch der Titel eines Gemäldes, das bei seiner Mutter in der Wohnung hing.

 

Ben hat all die Jahre seines Lebens seiner Mutter geglaubt, die ihm erzählte, sein Vater sei als Spiegelreporter in Kolumbien verschwunden. Ob entführt oder umgebracht, bleibt unklar, aber sie lässt ihn für tot erklären. Doch Ben findet in der Unterlagen seiner verstorbenen Mutter Hinwies die ihn zu einer Frau führen, die die wahre Geschichte kennt und sie ihm auch ausführlich erzählt, als er sie aufsucht.

 

Die Lebenslügen, die hier zum Vorschein kommen, stellen Bens ganzes bisheriges Leben in Frage und es bleibt ihm keine andere Wahl, als sich ihnen zu stellen. Doch er selbst spürt mehr und mehr, dass er dazu neigt, sich beim Aufschreiben seiner Geschichte an seinen Sohn selbst etwas vorzumachen, die Lebenslügen seiner Eltern zu wiederholen.

 

Ob ihm das gelungen wird, ob er sein Leben und seine Ehe und sein Familienleben noch einmal auf die Reihe bekommen wird, lässt Philipp Blom offen.

 

Weil Blom die Vergangenheit häppchenweise und sukzessive für Ben und somit auch für den Leser offenlegt, ist der Roman spannend zu lesen. Und er fordert heraus. Wie sieht es in deinem eigenen Leben aus? Wie hast du dir es zurechtgelegt, welche Phasen und Geschehnisse lässt du liebe im Dunkeln?

 

Eine gekonnt und mit frischer Sprache erzählte Geschichte.