Rezension

Eine geniale Geschichte

Meine geniale Freundin, 1 MP3-CDs - Elena Ferrante

Meine geniale Freundin, 1 MP3-CDs
von Elena Ferrante

Bewertet mit 5 Sternen

Das Buch ist in aller Munde, wirklich in ALLER Munde! Nicht immer verheißt das etwas Gutes und deshalb wollte ich eigentlich noch ein bisschen warten, um zu sehen, ob die Geschichte etwas für mich ist. Es klingt seltsam, doch dass #FerranteFever hatte mich dann so unkontrolliert erfasst, dass ich mich gar nicht erwehren konnte. Und ich habe es nicht bereut!

Die ungekürzte Lesung landete auf meine Ohren und in mein Herz.

Lila, ist verschwunden. Sie hatte es einige Male angekündigt und nun im alter von 66 Jahren umgesetzt. Elena erinnert sich daran, dass Lila sich auslöschen wollte. Ist es ihr jetzt doch endlich gelungen? Ich folge gespannt der erwachsenen Elena, der fiktiven Ich-Erzählerin, in die Vergangenheit und lerne den Rione und das Italien der fünziger Jahre kennen.
Wer "Maria, ihm schmeckt´s nicht" von Jan Weiler gelesen oder gehört hat, hat bereits eine (wage) Vorstellung davon, wie sich "italienisches Sippenflair" anfühlt und dass sich Italien und Italiener in vielen Punkten deutlich von uns Deutschen unterscheiden. Alleine schon, wie oft und wie sehr im Buch die reine italienische Sprache, den verschiedenen italienischen Dialekten gegenüber, hervorgehoben und erwähnt wird, mag dem einen oder anderen Leser / Hörer etwas ungewöhnlich erscheinen. Aber es ist auch heute noch so, dass sehr gebildete Menschen und die, die etwas auf sich halten und Karriere machen wollen, unbedingt italienisch (am besten) akzent- und dialektfrei sprechen müssen. Dies wurde mir viele Jahre von italienischen Freunden immer und immer wieder gesagt, erklärt und anhand von Beispielen gezeigt, dass ich es heute absolut verinnerlicht habe. 

Jahrelange Urlaube in Italien und Gespräche mit italienischen Freunden bestätigen und zeichnen genau das Bild, das auch Elena Ferrante in ihrer Neapolitanischen Saga beschreibt:
Mädchen sehen sich als Rivalinnen, sie kämpfen um das Ansehen untereinander, um den schönsten Jungen, um den besten Ehemann, um die angesehendste Familie, um die Vorherrschaft der eigenen oder eingeheirateten Sippe... Das Mädchen- und Frauenbild, das Elena Ferrante zeichnet ist leider nicht überspitzt. Auch gibt es vielerorts heute noch für viele Mädchen und Frauen keinen anderen (Lebens)Weg als den einer Ehefrau und Mutter. Sie freuen sich auf das Wochenende, machen sich schick für den Lauf entlag des Corsos. Ein Stolzieren, das Sehen und Gesehenwerden, das Präsentieren und Abchecken von potenziellen Bräuten und Bräutigamen ist fast schon eine olympische Disziplin.

Und genau mittendrin in diesem Gefüge leben die beiden Mädchen Elena und Lila und werden irgendwann zufällig Freundinnen. Doch beide verbindet nicht die klassische Freundschaft. Eigentlich gibt die unbeugsame, unwillige, vorlaute, sich in Szene setzende, unwirsche und dominante Lila den Ton an und Elena versucht permanent ihr das Wasser zu reichen und bestenfalls, sie zu übertrumpfen. Einen Trumpf hat sie: Elenas Vater ist Pförtner in der großen Stadt, Lilas Vater nur ein kleiner Schuster im Rione, einem ärmlichen Vorstadtviertel von Neapel, wo beide Familien wohnen. Beide Mädchen träumen von einer besseren und schöneren Zukunft, von ihrer Unabhängigkeit und von Reichtum. Sie wollen gemeinsam ein Buch schreiben, reich und berühmt werden. Aber auch da muss Elena feststellen, dass Lila die Gesegnete von beiden ist. Sie hat eine Art zu schreiben und sich auszudrücken, an die sie, Elena, nicht herankommt, obwohl nur sie das Privileg erhalten hat an eine weiterführende Schule gehen zu können. Lila muss im Rione bleiben und ihrer Mutter im Haushalt helfen. Äußere Umstände trennen und verbinden die Mädchen immer und immer wieder. Mal sind sie unzertrennlich, mal sehen sie sich lange Zeit nicht und wechseln kein Wort. In diesen Phasen der "Trennung" scheint aber immer nur Elena unter der Situation zu leiden, da sie sich immer über Lila, Lilas Wesen, Denken und Handeln definiert anstatt ganz eigenständig ihren Weg zu suchen, um Erwachsen zu werden. Diese "Abhängigkeit" hat in mir öfters den Wunsch hervorgebracht, Elena zu schütteln und ihr einen eigenen Weg zeigen zu wollen. War mir anfänglich Elena lieber, schwenkte meine Sympathie in Laufe der Geschichte aber zu Lila.

Immer wieder bewunderte ich die Autorin für ihr Fingerspitzengefühl beim Erzählen und Formen der Charaktere. Die Hauptprotagonistinnen und auch alle Nebenfiguren sind so hervorragend beschrieben und bildlich stark, dass es eine Wonne war, ihnen zu folgen und sie beim Erwachsenwerden zu begleiten. Auch die erste Liebe findet ihren Weg in die Geschichte und damit der Kampf der Geschlechter. Das Bild des Mannes der fünfziger Jahre ist kein wirklich schönes. Ehemänner schlagen ihre Ehefrauen und Töchter, natürlich nur aus Liebe. Männer betrügen, Brüder bevormunden, Verlobte fordern, und immer scheint es, als hätten die Frauen wenig bis kaum etwas zu sagen und zu entscheiden. Kriminalität und Korruption sind an der Tagesordnung.

Ja, es ist eine epische Erzählung. Sie ist sehr detailreich und intensiv. Doch gelingt es Ferrante ganz langsam eine Spannung zu erzeugen, die den Leser und Hörer immer weiter in die Geschichte treibt. Viele Fragen kommen auf: Wie werden sich die beiden Mädchen entwickeln? Welchen Weg werden sie einschlagen? Wen werden sie heiraten? Werden sie sich aus ihren Zwängen befreien? Werden sie ihre Träume verwirklichen? Wird ihre Freundschaft ein Leben lang halten? Und letztendlich treibt einen die Antwort auf die eigeleitete Frage voran: Was ist mit Lila passiert?

Eine geniale Geschichte, die als Hörbuch ganz genial funktioniert! Eva Mattes bringt reinen Hörgenuss. Mein Ohr hing an ihren Lippen. Und nun möchte ich mehr! Auf zu Teil 2, zur Geschichte eines neuen Namens...