Rezension

Eine Geschichte in Jazz

Ich mag mich irren, aber ich finde dich fabelhaft - Dorothy Baker

Ich mag mich irren, aber ich finde dich fabelhaft
von Dorothy Baker

Bewertet mit 4.5 Sternen

Rick Martin liebt die Musik, lange bevor er ein Mädchen liebt, und die Musik liebt ihn. Er kann eine Melodie derart schnell aufgreifen und durch den Raum tanzen lassen, dass es dem Boss des Cotton Club egal ist, ob Rick minderjährig ist. Und auch die schwarzen Jungs an der Bar scheren sich nicht darum, dass er einfach ein white kid aus den Slums von Los Angeles ist. Ricks zweite große Begabung ist die Freundschaft. Die schwarzen Jungs aus den Clubs, die er erst bewundert, bevor er schließlich mit ihnen Musik macht, sind der Boden unter seinen Füßen, und sie werden noch da sein, viel später – nachdem er geheiratet und sich wieder getrennt hat, nachdem er ganz oben war, in den legendären Nightclubs von New York –, als das Glück seines Lebens aufgebraucht ist. (von der dtv-Verlagsseite kopiert)

Eigentlich ein blöder Kalauer, wenn ich über das Buch sage: Ich irre mich nicht, aber ich finde dich fabelhaft. Trotzdem stimmt der Satz.

Lange galt: Jazz gehört den schwarzen Musikern. Dass ein weißer Junge sich zwischen farbige Pianisten, Schlagzeuger und Blasmusiker setzt und ihre Themen und Improvisationen übernimmt, dabei am Klavier und an der Trompete glänzt – das ist nicht die Regel. Und doch ist es möglich.

Seit er sich erinnern kann, fühlt Rick Musik in sich. Doch wie kommt ein Kind aus dem Armutsviertel zu Instrumentalunterricht? Wie kann es sich den Traum erfüllen, selbst in der Band zu spielen? Wie können aus einer Leidenschaft Berufung und Beruf entspringen?

Rick lernt über Ohren und Gehör. Nicht die akademische Musikerausbildung prägt ihn, nicht die Noten, er hat keine Vorbilder in der Familie, keine Förderer, nur seine Obsession und sein absolutes Gehör. Er arbeitet fieberhaft, übt Stunde um Stunde, zuerst am Klavier, später mit der Trompete. Sein Talent wird bei der ersten Begegnung mit einem Bandleader entdeckt, und fortan stürmt er von Auftritt zu Auftritt, von Band zu Band, von Schallplattenaufnahme zu Schallplattenaufnahme. Bis seine Lebensweise ihren Tribut fordert.

Man liest über die Auftritte verschiedener Bands so, als säße man selbst im Club. Themen, die von einem Instrument dem nächsten weitergereicht werden, Melodien, die erst im Augenblick des Spielens entstehen, Kompositionen, die ohne Umweg über Notenschrift von Musikern erdacht und sogleich zu Gehör gebracht werden – ein Buch, das man hörend liest. Oder lesend hört?

Das Buch wird von einem Ich erzählt, das beschlossen hat, Ricks Lebensgeschichte aufzuschreiben und schon im Prolog einen Abriss über Herkunft und Musikerkarriere gibt, quasi die Handlung vorab erzählt. In diesem Prolog berichtet das Ich, warum es Ricks Geschichte nur so und nicht anders erzählen kann, als Geschichte, „eines jungen Mannes … der, ohne selbst genau zu wissen, was es war, eine Gabe besaß, eine so natürliche und fließende Musik zu erschaffen wie von – ach, sagen wir Bach.“

Diesem Fließen entspricht die Personenzeichnung: Niemand, auch Rick nicht, ist eindeutig und fassbar. Die Figuren sind das, was sie auf der Bühne zeigen; wenn das Licht ausgeht, verliert sich die feste Kontur, die Haut; übrig bleiben ein paar übernächtigte Leute, die meisten trinken und rauchen (nicht nur Zigaretten) zuviel.

Ein Rätsel: Der Titel. Was dieser sperrige Satz als „Übersetzung“ von „Young Man with a Horn“ zu bedeuten hat, erschließt sich mir nicht. Mag sein, dass er neugierig macht, aber einen Bezug zu Inhalt oder Handlung findet man nicht. („Horn“ aus dem Originaltitel ist der gängige amerikanische Oberbegriff für Blechblasinstrumente.)