Rezension

Eine Geschichte mit Tiefgrund, leider jedoch etwas überzogen und unglaubwürdig

Das Mädchen mit dem Haifischherz - Jenni Fagan

Das Mädchen mit dem Haifischherz
von Jenni Fagan

Bewertet mit 2 Sternen

Ein Leben im Heim oder von Heim zu heim – die guterzogenen Kids machen sich kaum Gedanken darüber bzw. sie können es sich nicht vorstellen. Doch, wie ist es für jemanden, der von einem Heim zum nächsten tingelt? Jenni Fagan hat in ihrem Roman eine Atmosphäre geschaffen, in der sie die Protagonistin beschreibt, welche fast ausschließlich in Heimen und Pflegefamilien gelebt hat.

Anais Hendricks ist 15 und sitzt auf einem Rücksitz in einem Polizeiauto. Ihre Schuluniform ist blutverschmiert, eine Polizistin liegt im Koma. Hat sie etwas damit zu tun? Alle gehen davon aus, es liegen aber keine Beweise vor und Anais kann sich nicht erinnern. Anais kommt in eine Besserungsanstalt für schwererzwiehbare Jugendliche, ins Panoptikum. Anfangs steht sie dem noch mit Skepsis gegenüber, die anderen Jugendlichen werden aber fast zu etwas wie ihre Familie. Das Panoptikum sieht sie als eine Art Gefängnis, eine Art Unterkunft für so kaputte Menschen wie sie, erschaffen vom Experiment. Sie kämpft mit der Gegenwart, der Vergangenheit und ihrem Mut – sowie ihren Gedanken und Stimmen. Die anderen Jugendlichen sind eine Art Familie, deren Bande stärker sind als alles, auch stärker als das System. Ein Mädchen mit dem Haifischherz, das dagegen anzukämpfen versucht...

Der Anfang beginnt so, wie der Klappentext es beschreibt. Anais sitzt blutverschmiert auf dem Rücksitz eines Polizeiwagens. Die Polizisten bugsieren sie in das besagte Panoptikum. Dort angetroffen macht sie sich erst einmal mit allem vertraut, wenn man es denn so nennen kann.

Der Leser merkt gleich, dass er mit Anais keine normale Protagonistin hat, sondern eine, welche viel erlebt hat und viel einstecken musste. Sie misstraut allem und jedem und hat es immer wieder vom Experiment. Man ist sich anfangs nicht klar, ob das nur in ihrem Kopf existiert oder ob es wirklich existent ist. Durch den Drogenkonsum und ihre schwere Kindheit ist sie auch etwas zurückgezogen und um es schlicht zu sagen, durcheinander. Sie schweift oft ab von ihren Gedanken und sieht Dinge, die es nicht gibt. Sie stellt sich allerlei vor, z.B. wie und wo sie geboren ist und wie sie entstand. Oder wie das Experiment sie erschaffen hat. Ihre Aussprache ist gossenslangartig und man braucht einige Zeilen, um sich an das zu gewöhnen.

Der Schreibstil der Autorin leitet dazu, Zeile um Zeile zu lesen, auch wenn die Schrift recht klein ist in diesem Buch. Man fragt sich, was alles auf Anais zukommt und was am Experiment wahr ist oder nicht. Irgendetwas mystisches und geheimes umgibt die ganze Aura des Buches – auf dem Panoptikum geht etwas nicht mit rechten Dingen zu. Oder strahlt es von Anais aus? Man ist auf jeden Fall gespannt, wie die Geschichte weiter läuft.

Anais ist dem Leser (so ging es mir auf jeden Fall) eher fern, man bekommt keinen rechten Anschluss zu ihr. Manchmal neigt sie dazu, nett zu sein und sich aufzuraffen. Andererseits bleibt sie auf ihrer „assozialen“ Linie stecken und hat diese Gleichgültigkeit. Man könnte fast sagen, in diesem Mädchen stecken zwei Personen. Es ist aber kaum verwunderlich, dass sie so verwirrt und durchgeknallt ist, nach ihrer Vergangenheit zu urteilen. Ihr Betreuer Angus, welcher anfangs recht sympathisch wirkt, ist ihr dabei auch keine große Hilfe, auch wenn er ihr helfen will. Selber hat er auch ein Päckchen zu tragen, welches ihn nicht unbedingt zum besten Betreuer macht.

Es gibt viele Szenen, da kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Zum Beispiel auch, wie das Gericht mit Anais umgeht. Anstatt einer verlorenen Jugendlichen zu helfen, triezen sie sie noch mehr. Ich denke, die Autorin will uns mit ihrem Werk die Augen öffnen, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Man wiegt sich in Sicherheit durch die Autorität der Öffentlichkeit, des Staates und dergleichen. Doch hinter unserem Rücken passiert hier so einiges, was nicht rechtens ist. Auch, dass wir es so gut haben im Gegensatz zu anderen – man siehe Anais, ist wohl auch ein großer Stützpunkt in diesem Roman. Man merkt, dass die Autorin sich damit und mit anderen komplexen Themen auseinander gesetzt hat und hier einen Roman mit Tiefgründigkeit geschaffen hat.

Im Großen und Ganzen konnte mich das Buch aber nicht großartig überzeugen, da hier die schlechte Redensart der Protagonistin vieles kaputt macht – vielleicht bin ich auch zu alt, aber der „Gossenslang“ macht hier viele Situationen kaputt. Auch dass hier viele Situationen, welche wichtig gewesen wären für den Verlauf, so kompliziert beschrieben werden, macht einem das Lesen nicht leicht. Meines Erachtens wurden hier auch viele Fragen ungeklärt gelassen, gerade am Ende. Das kam dann so unerwartet und unglaubwürdig hervor, das ist echt schade!

Es ist eine erschütternde Geschichte, die einem im Gedächtnis haften sollte, über die man ernsthaft nachdenken sollte. Jedoch sind die abschweifenden Gedanken sowie unrealistische und schnell wechselnde Szenen nicht gerade fördernd, die ganze Geschichte wirkt sogar etwas überzogen.

Ein Pluspunkt ist aber das Cover – es ist so schön ausgearbeitet, bunt und doch uni – es erinnert etwas an Ed Hardy. Einzig die Pillen vorne drauf stören etwas, da dies etwas verharmlost wird – sollte man wohl nicht so eng sehen, da es im Gesamten ja auch um Drogen geht.

Diejenigen, die sich nicht aus der Ruhe bringen lassen durch den wirklich derbe Sprache der Charaktere, werden sich an dieser Lektüre nicht satt lesen können und werden in einen tiefgründigen (aber verwirrenden) Sog gezogen. Für mich war es leider etwas too much und zuviel des Guten von allem!