Rezension

Eine Geschichte voller kleiner Geschichten

Das Glück hat vier Farben - Lisa Moore

Das Glück hat vier Farben
von Lisa Moore

Inhalt:

Seit Flannery denken kann, ist sie in ihren Sandkastenfreund Tyrone verliebt. Doch Tyrone hat ganz andere Prioritäten. Als beide für ein Schulprojekt ein Zweierteam bilden, muss Flannery bald feststellen, dass ihre große Liebe stets nicht da ist, wenn sie ihn dringend braucht. Die Aufgabe des Projekts besteht darin, ein Angebot für ein Produkt zu machen, für welches kein Bedürfnis besteht. Bedarf und Nachfrage müssen also erst geschaffen werden.
Flannerys erste Idee, der Entwurf eines Designerpümpels, wird von Tyrones Vorschlag abgelöst. Tyrone ist sich sicher: Herstellungsaufwand sowie geringe Herstellungskosten machen Liebestränke zu einer guten neuen Geschäftsidee.
Bald schon beginnt Flannery mit den Vorbereitungen. Es stellen sich viele Fragen. Jedes Problem muss sie alleine angehen, denn Tyrone vertröstet die Freundin immer wieder von neuem. Irgendwie gelingt es Flannery ihr eigenes chaotisches Leben zu meistern und auch noch das Projekt voranzutreiben. Schließlich reicht ihr ein Wort oder ein Blick von Tyrone, wenn sie sich mal kurz auf dem Schulflur treffen. Die Hoffnung bleibt bestehen: Irgendwann wird Tyrone Zeit finden. Irgendwann werden beide zusammen ausgehen und irgendwann wird er sie bestimmt auch küssen ...

Schreibstil:

„Das Glück hat vier Farben“ ist eine unglaublich komplexe Geschichte. Sie besteht aus vielen kleinen wundervollen Erzählungen aus Flannerys Vergangenheit. Zugleich werden die einzelnen Charaktere liebevoll beschrieben. Hier gibt es zum Beispiel Miranda, Flannerys Mutter, die mit einer Tiara und Leopardenfellmantel durch das Einkaufszentrum läuft. Anstatt ihrer Tochter dabei zu helfen einen Badeanzug zu finden, spielt sie lieber mit einer Videodrohne und lässt sich selbst mit der eingebauten Kamera filmen. In ihrer Freizeit schreibt Miranda einen Erziehungsblog, in dem sie intime Details ihrer Tochter postet. Wenn Flannery anmerkt, dass sie diese Zurschaustellung ihres Lebens nicht billigt, dann steht ihr Argument, das ihrer Privatsphäre, gegen das ihrer Mutter: Meinungsfreiheit.
Flannery hat es nicht leicht. Die Mutter kann sich nicht mehr an den Erzeuger ihrer Tochter erinnern, dabei sehnt sich Flannery doch so sehr nach dem Vater, der ihr so ähnlich sein soll. Der Bruder, den Flannery nie haben wollte, bekommt die Drohne geschenkt, anstatt dass Miranda ihrer Tochter ein Biologiebuch kauft oder die längst fällige Stromrechnung bezahlt. Stattdessen soll Flannery ans Telefon gehen, wenn die Behörde anruft. Sie soll den Tod der Mutter vortäuschen und Mitleid erregen. So ist Flannerys Leben.
Als wäre das nicht schon genug, scheint sich mit Beginn des Schulprojekts auch die beste Freundin Amber zu verändern. Ihr Teampartner ist ein cooler Musiker. Von einem Tag auf den anderen verändert sich Amber. Sie spricht nur noch von Gary, hängt mit dessen Freunden ab und es gibt kein „ich“ mehr sondern nur noch ein „wir“. Und dieses Wir beinhaltet nicht Flannery.
Flannery ist bereit das Schulprojekt irgendwie in Angriff zu nehmen. Sie besorgt Flaschen, entwickelt eine Rezeptur. Sie interviewt sogar eine Wicca. Immer wieder versucht sie Kontakt zu Tyrone aufzunehmen. Doch dieser meldet sich entweder nicht oder er versetzt sie im letzten Moment. Und dann sieht sie ihn plötzlich, wie er ein wundervolles Gemälde an eine Mauer sprayt. Die Enttäuschung, ob seiner Versetzungen, verglüht im selben Moment, wo Flannery Tyrone erblickt. Es ist seine Art, sein Aussehen, sein lässiges Auftreten und seine stets verständnisvolle Art, die Flannery jeden Fehltritt sofort vergessen lässt.
Der Schreibstil dieser Geschichte ist außergewöhnlich. Viele kleine Geschichten ranken sich um die einzelnen Charaktere. Hierdurch entsteht nicht nur eine unglaubliche Figurentiefe, auch sorgt die Autorin für skurrile Lebenssituationen. Der Leser klebt an den Seiten und vergisst für einen Moment, dass er ja eigentlich ein Schulprojekt und eine schöne Liebesgeschichte verfolgen sollte. Stattdessen begreift er, dass keiner der einzelnen Charaktere es wirklich leicht hat. In einem Moment ist die Welt noch in Ordnung, im nächsten schlägt das Schicksal wieder erbarmungslos zu.
Neben schrulligen Charakteren, einem aufregenden und zugleich auch ein wenig verrücktem Handlungsstrang, gibt es auch noch diese zarte Liebesgeschichte. Flannery empfindet viel für Tyrone. Sie braucht ihn nur zu sehen, schon vergisst sie jeden seiner Fehltritte. Sie sieht ihn durch die sprichwörtliche „rosarote Brille“. Diese erste Liebe wird sehr glaubwürdig dargestellt. Es ist dieses Gefühl, was einen einfach alles tun lässt, was nicht hinterfragt, sondern einfach nur opfert. Es ist schön zu beobachten und zugleich auch traurig mit anzusehen, wie Flannerys Liebe alles übersteht, aber auch zugleich kaum eine Erwiderung erfährt.

Fazit:

„Das Glück hat vier Farben“ ist eine Geschichte, die mich von der ersten Seite an gepackt hat. Viele kleine Geschichten beleuchten das Leben der Protagonistin und stellen die Nebencharaktere im Detail vor. Die Lebendigkeit dieser Erzählungen, aber auch die Schrulligkeit der einzelnen Charaktere, die Weisheit, die hinter den Worten der Autorin steckt, sorgen für vollkommenen Lesegenuss.
Hier erfährt der Leser, wie zerbrechlich das Leben sein kann, er wird Zeuge von Freundschaften, um die es zu kämpfen lohnt, die aber leider nicht für immer bestehen können und einer ersten Liebe, die bedingungslos gibt und nichts dafür fordert.
Dieses Buch möchte ich an Leser/innen weiterempfehlen, die eine vielschichtige und fesselnde Geschichte suchen und zugleich liebevoll gestaltete und schrullige Charaktere kennenlernen wollen.

Buchzitate:

Mütter können nicht die Freundinnen ihrer Töchter sein. Sie sind ihre Mütter. Höchstens später im Leben, wenn die Mutter eine alte Dame ist und ein kleines trübes Glas mit ihrem Gebiss auf dem Nachttisch hat und ihre Tochter selbst sechs Töchter hat, dann können sie vielleicht Freundinnen sein.
- Miranda (Flannerys Mutter) zu ihrer Tochter -

Jetzt gerade sitzt sie mit krummen Schultern in ihrem Leopardenfell-Fummel und schmollt mit gerunzelter Stirn. „Tu das nicht mit deiner Stirn“, sage ich. „Sonst brauchst du Botox.“
- Flannery zu Miranda -