Rezension

Eine Geschichte vom Loslassen mit einer antriebslosen Protagonistin

Überall bist du - Gerhild Stoltenberg

Überall bist du
von Gerhild Stoltenberg

Bewertet mit 2 Sternen

Martha hat einen Listen-Job, dem sie nicht sonderlich viel abgewinnen kann. Ihr Lichtblick ist ihr Freund Tom, der auch privat alles in Listen ordnet, um es im Griff zu haben. Als Martha einen neuen Job als Kindermädchen für den fünfjährigen Oskar und seine beiden jüngeren Brüder annimmt, ist er davon nicht sonderlich begeistert. Ebenso wenig will er Martha seinen Eltern vorstellen oder ihre Freunde kennenlernen. Und dann ist er plötzlich ganz aus ihrem Leben verschwunden. Alles erinnert Martha an ihn, ihr Liebeskummer scheint endlos. Wie kann es nun weitergehen?

Der Titel des Buches und die Regentropfen auf seinem Cover signalisieren eine eh bedrückende Geschichte über die Liebe. Zu Beginn des Buches lernt man Martha kennen, die sich gerade in Belgrad befindet, weil das ein Ort ist, wo „er“ noch nicht gewesen ist. Danach erinnert sie sich zurück an die Zeit, in der sie noch mit ihrem Freund zusammen war. Sie nennt ihn Tom, um nicht an seinen richtigen Namen denken zu müssen.

Martha gibt selbst zu, dass ihr Listen-Job sie nicht sonderlich begeistert, sie dort aber hängen geblieben ist, weil sie irgendwann vergessen hat, neue Pläne zu schmieden. Auf mich wirkte sie wie ein Mensch, dem der Antrieb und ein echtes Ziel fehlen. Zufällig erfährt sie von dem Job als Kindermädchen und nimmt ihn spontan an. Ich war gespannt, ob dieser Job sie verändern wird.

Was Martha an Tom so toll findet, konnte ich leider überhaupt nicht nachvollziehen. Die Geschichten ihres Kennenlernens und eines gemeinsamen Picknicks, das er genauestens geplant hat, klangen schön. Aber das war es dann auch. Tom wirkte auf mich wie ein mürrischer Kontrollfreak, der kein Interesse hat, Martha irgendwo hin zu begleiten oder sie irgendwo hin mitzunehmen. Trotzdem ist sie am Boden zerstört, als er sie plötzlich verlässt, was für mich nach den zuvor gelesenen Episoden aber nicht überraschend war. Leider konnte ich mich deshalb auch nicht so recht in Martha und ihre emotionale Situation hineinversetzen.

Am Besten gefallen hat mir der fünfjährige, für sein Alter sehr weise Oskar, auf den Martha aufpasst. Er hat interessante Ideen und Lebensweisheiten parat. Außerdem versucht er auf rührende Weise, Marthas Liebeskummer zu stillen, indem er zum Beispiel unbedingt ihre Wohnung sehen will und dann heimlich Toms Fotos einsammelt. Inwiefern sein Verhalten authentisch für einen fünfjährigen ist, sei mal dahingestellt. Im Gegensatz zu ihm bleiben die anderen Charaktere eher blass, zum Beispiel Oskars Mutter, die sich um ihr Neugeborenes kümmert oder Marthas Bekanntschaften auf dem Spielplatz, die alles spitz kommentieren.

Die Sprache des Buches ist poetisch-melancholisch, konnte mich aber nicht fesseln. Immer wieder erwischte ich mich dabei, ganze Absätze gelesen zu haben, ohne mir viel davon behalten zu haben. Martha grübelt viel über alle möglichen Alltagsdinge nach und erinnert sich an die Zeit mit Tom zurück. Das fand ich leider nicht sonderlich interessant oder berührend. Ich hoffte die ganze Zeit, dass endlich irgendetwas Martha aus ihrer Lethargie reißt. Die Reise nach Belgrad, die im Prolog schon vorweggenommen wird, ist ein erster Schritt in diese Richtung, die zum Ende hin noch mal ein bisschen Schwung in die Geschichte brachte. Doch auch die Art und Weise, wie Martha dort ihren Liebeskummer allmählich überwindet, konnte mich nicht überzeugen.

„Überall bist du“ kann man flüssig und zügig lesen. Doch die Antriebslosigkeit von Martha und ihre für mich nicht nachvollziehbaren Gefühle für ihren wenig sympathischen und ohne Erklärung verschwundenen Ex-Freund machten es zu keiner interessanten Lektüre für mich. Ich habe leider keinen emotionalen Zugang zu ihr gefunden und das Buch hat bei mir keine Spuren hinterlassen. Es ist keine schlechte Geschichte, doch sie wird mir vermutlich nicht lang in Erinnerung bleiben.