Rezension

Eine Hexe und das Meer

Salt & Storm. Für ewige Zeiten - Kendall Kulper

Salt & Storm. Für ewige Zeiten
von Kendall Kulper

Avery Roe ist eine Hexe - zumindest fast. Sie stammt von einer Hexenlinie ab, die schon lange auf Prince Island lebt und bis heute (die Geschichte spielt im 19. Jahrhundert) dafür sorgt, dass den Bewohnern nichts Schlimmes zustößt und es ihnen gut geht - sei es, dass die Walfänger wohlbehalten von ihren Reisen zurückkehren oder der Fang immer so gut ist, dass alle zu essen haben.  Avery kann sich nichts Schöneres vorstellen, als den Platz der nächsten Roe-Hexe einzunehmen, den momentan noch ihre Großmutter füllt, und Verantwortung für ihre Heimat zu übernehmen. Doch ihre Mutter sieht das anders. Sie hat sich geweigert, selbst Hexe zu werden und möchte auch Avery dieses Schicksal verwehren. Denn Hexe zu sein heißt, Schmerzen zu erleiden.

Meinung:

Avery hasst ihre Mutter. Sie hat sie ihrem Zuhause bei ihrer Großmutter entzogen und sorgt durch einen Fluch dafür, dass Avery nicht mehr zu ihr kann, um zu lernen, wie man eine Hexe wird. Man kann Averys Hass durch die Seiten deutlich spüren und nachvollziehen. Ich war selbst richtig wütend, als ich diese Passagen gelesen habe. Eine Hexe zu werden, füllt ihr komplettes Leben aus, und wenn die eigene Mutter das nicht versteht und immer wieder dagegen vorgeht, kann man verstehen, wie es zu dem Zwist zwischen den beiden kam. Das Thema Familie ist eh ein ganz großer Punkt in diesem Buch. Avery hat ein viel besseres Verhältnis zu ihrer Großmutter, da sie bei ihr aufgewachsen ist, und trotzdem hängt auch deren Beziehung am seidenen Faden. In der Roe-Familie gibt es keine Männer. Jede Frau bringt eine Tochter zur Welt, Männer sind da eher Mittel zu Zweck. Zumindest denkt das Avery.

Doch dann lernt sie den Schiffsjungen Tane kennen, der auch Magie beherrscht. Averys besondere Gabe ist es, dass sie Träume deuten kann. Im Austausch dafür, dass Tane ihr hilft, den Fluch ihrer Mutter zu brechen, deutet sie seine Träume, da er denkt, dass er so die Mörder seiner Familie finden kann. Die Liebesgeschichte kam mir persönlich etwas zu plötzlich. Natürlich gibt es vorher die üblichen Meinungsverschiedenheiten, jeder ist nur auf seinen persönlichen Vorteil bedacht, doch irgendwann verlieben sie sich Hals über Kopf und der eine würde für den anderen sterben. Ich kann sowas nicht ganz nachvollziehen, aber das liegt vielleicht auch einfach nur an mir :) So ganz konnte ich Tane als männlichen Hauptcharakter nicht ins Herz schließen, für mich blieb er immer etwas blass neben den Roe-Frauen, die die Geschichte dominieren.

Einen großen Pluspunkt gibt es für die geschaffene Atmosphäre. Ich habe die Insel und die Docks vor meinen Augen gesehen, als ich das Buch gelesen habe. Ich konnte fast den Wind spüren und das Meer riechen, so sehr hat die Geschichte es geschafft, mich in ihren Bann zu ziehen. Die Inselbewohner waren bunt und lebendig und keine blassen „Statisten“, wie es ja oft der Fall ist. Jeder hat seine eigene Geschichte, seine eigenen Träume.

Die Geschwindigkeit des Buches war sehr „harmonisch“ (in lack of a better word :)) und mit der Geschichte verwoben. Die Roe-Hexen sind dem Meer verbunden und können zum Teil über den Wind herrschen. Anfangs weht ein mildes Lüftchen, das sich langsam zu einem richtigen Wind und letztendlich zu einem Orkan entwickelt. Genauso war es auch in dem Buch, der seinen Höhepunkt auf See in einem Sturm findet.

Besonders das Ende hat mich positiv überrascht und befriedigt. Ich hatte lange kein so gutes Gefühl mehr beim Lesen vom Ende eines Buches. Oft enden die ja mit einem erzwungenen Cliffhanger oder einem rosigen Happy End, bei dem jeder glücklich ist. Hier gibt es weder das eine noch das andere, und doch habe ich das Buch mit einem zufriedenen Seufzen zugeklappt ;) So sollen Enden sein!

Zusammenfassend ist das Buch eine sehr stimmungsvolle Geschichte über eine Fast-Hexe, die sich nichts sehnlicher wünscht, als ihren Platz einzunehmen und die Linie der Roe-Hexen auf ihrer Insel weiterzuführen, und dafür vieles in Kauf nehmen muss - Schmerz, Vorurteile, eine gebrochene Familie und sogar ein gebrochenes Herz.