Rezension

Eine Hommage an die Fragilität zwischenmenschlicher Bindungen

Wir kennen uns nicht - Birgit Rabisch

Wir kennen uns nicht
von Birgit Rabisch

Inhalt und Charaktere:

Die Lektüre beginnt mit einer anklagenden Ansprache der Protagonistin Ariane, die direkt an den Leser gerichtet ist. Nur ein paar Zeilen, die mit einer geballten Ladung, die gesamte Wucht negativer Empfindungen gegenüber ihrer Mutter Lena, zum Ausdruck bringt, das es beim Lesen, fast wehtut.

Ariane fühlt sich vernachlässigt, ungeliebt und ihrer Wurzeln beraubt. Die Anonymität ihres leiblichen Vaters begleitet sie ihr ganzes Leben und sie wird, von ihrer Mutter, mit nebulösen Andeutungen einer künstlichen Befruchtung abgespeist. Ihre Zuneigung holt sich Ariane stets woanders und vorsichtige Annäherungen, seitens der Mutter, weist sie vehement ab. Die Verletzungen in ihrer Seele sind einfach zu tief verankert. Ariane wird eine angesehene Verhaltensforscherin und sie geht in ihrem Beruf auf. Die Momente, bei der man als Leser, ihren Versuchen mit ihren geliebten Raben, beiwohnen darf, lassen Ariane in einem ganz anderen Licht erscheinen. Sie blüht auf und sprüht vor Enthusiasmus.

Mit Nommen, findet Ariane einen Partner, der auf ihre Bedürfnisse eingeht und bei dem sie endlich das erhält, wonach sie ihr ganzes Leben suchte, Liebe und Geborgenheit.

Mutter Lena steht, seit ihrer Jugend, für Frauenrechte ein. Sie wollte sich nie in die Abhängigkeit eines Mannes begeben, weshalb sie sich für eine Schwangerschaft ohne Vater entschlossen hat. Aus ihrer Sicht hat Lena alles richtig gemacht und von außen betrachtet, fehlte es Ariane auch an nichts. Lena verdiente ein kleines Vermögen mit ihren Romanen, in denen sie ihr eigenes Leben und das ihrer Tochter, fiktiv verarbeitet. Ein weiterer Aspekt, den Ariane nie verstand. Sie fühlte sich durch die Romane öffentlich bloß gestellt und dennoch fand sie nie einen Weg, ihrer Mutter, ihren Standpunkt unmissverständlich klar zu machen. Ein großer Fehler von beiden Seiten.

Lena wollte ihre Tochter stets zur Selbstständigkeit erziehen, wollte mehr Freundin als Mutter sein und Ariane eine Alternative zum traditionellen Familienleben bieten, jedoch fragte sie Ariane nie nach ihren Wünschen.

Beide leben in ihrer eigenen Welt und in ihrer Anschauung ohne die Perspektive des anderen zu reflektieren. Und wie auch Ariane, zu Beginn des Romans, schon richtigerweise feststellt „Wir kennen uns nicht“

Meine Meinung:

In gewohnter Manier, bringt Autorin Birgit Rabisch Empfindungen und Emotionen, mit feinen und tiefsinnigen Formulierungen, auf den Punkt, ohne diese zu werten. Das bleibt dem Leser selbst überlassen und somit befindet man sich, nach kurzer Zeit, in einem Wechselbad der Gefühle. Beide Protagonistinnen gestatten, nach und nach, einen tiefen Blick in ihre Seele und es fällt schwer, sich auf eine Seite zu schlagen. Beide sind in ihren Ansichten gleichermaßen festgefahren und zu sehr damit beschäftigt, die Fehler beim jeweils anderen anstatt das Gespräch zu suchen.

Der Roman offenbart die Zerbrechlichkeit menschlicher Beziehungen. Egal ob als Partner, als Elternteil oder als Kind, Liebe und Vertrauen ist ein Prozess, der mühevoll erarbeitet sein will, egal in welchem Alter, egal in welcher Gesellschaftsschicht. Was zu Beginn einer Beziehung versäumt wird, ist nur noch schwer zu kitten.

Mich hat dieses Buch, als Mutter zweier Töchter, sehr bewegt, berührt und nachdenklich gemacht und es hat mich gelehrt, nicht nur für meine Kinder, sondern auch für meinen Partner und wichtigen Menschen in meinem Leben, immer ein offenes Ohr zu haben, die eigene Perspektive auszublenden und die Sichtweise des anderen zuzulassen.

Ein weiteres Mal hat mich, die sensible und unverwechselbare Art der Erzählkunst von Birgit Rabisch tief beeindruckt. Ihre Stärke liegt darin, mit leisen Tönen eine Komposition zu schaffen, deren Höhepunkte, zwischen den Zeilen liegen.

 

5 Sterne für diesen wundervollen Roman, mit einer Thematik, die einfach jeden berühren sollte.