Rezension

Eine kleine Geschichte zum Nachdenken

Ein halbes Jahr zum Glück - Julie Lawson Timmer

Ein halbes Jahr zum Glück
von Julie Lawson Timmer

Ein in fröhlichen Farben gestaltetes Cover, große orangefarbene Blüten und ein kleiner schwarzer Hund sind der erste Hingucker des neuen Buches von Julie Lawson Timmer "Ein halbes Jahr zum Glück". Der Titel könnte auf eine Liebesgeschichte hindeuten, aber schon der Klappentext weist in eine andere Richtung.
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die beiden Frauen Markie und Mrs Saint-Denis, kurz Mr Saint genannt. Markie ist nach der Scheidung von ihrem Ehemann Kyle am Boden zerstört. Dieser hatte sie nicht nur betrogen, sondern auch ihr gesamtes Vermögen durchgebracht. Markie sieht nur einen Ausweg der seelischen und sozialen Schmach zu entkommen, indem sie sich einen neuen Job in einem neuen Ort sucht. Eigentlich hat sie nur einen Wunsch, sich weitab von allen Menschen zu verkriechen, maximal Sohn Jesse um sich zu haben und still und für sich ihre Wunden zu lecken. Da hat sie allerdings die Rechnung ohne ihre neue Nachbarin Mrs Saint gemacht. Bereits vom ersten Tag an ist Mrs Saint zur Stelle, um Markie auf ihre einzigartige, bis hin zur Aufdringlichkeit neigenden Art, ihre Hilfe anzubieten. Was für Markie einer Einmischung in ihr Leben gleichkommt, scheint für Mrs. Saint eine zweite Natur zu sein, hat sie sich doch mit einem Zirkel von Menschen umgeben, die alle auf die ein oder andere Weise ihre Hilfe benötigen. Doch auch Mrs Saint wird eines Tages die Hilfe von Markie benötigen.

Die Geschichte dreht sich zum größten Teil um Markie und wie sie versucht die Trennung und den Betrug ihres Mannes zu verarbeiten, sowie ihr Leben und ihr Selbstwertgefühl wieder in den Griff zu bekommen. Ein Großteil der Handlung wird aus ihrer Sicht geschildert. Als Leser bekommt man dadurch einen guten Einblick in Markies Inneres. Wir können an ihren Gedanken zum Verhältnis zwischen Mutter und Sohn teilhaben, ihre Sorgen verfolgen, die sie sich hinsichtlich seiner Entwicklung macht und wie sie versucht die Schuldfrage zum Scheitern ihrer Ehe zu ergründen. Gerade in der ersten Hälfte des Buches ist aber genau das eher hemmend für den flüssigen Fortlauf der Handlung und lässt die Geschichte teilweise etwas langatmig erscheinen. Mir persönlich hat es etwas das Dabeibleiben erschwert.
Wo auf der einen Seite Markies Sichtweise sehr viel Raum einnimmt, werden auf der anderen Seite wichtige Ereignisse nur sehr kurz abgehandelt. Für meinen Geschmack wurde manches auch nicht zu Ende geführt, so dass ich als Leser durchaus mehrmals etwas verwirrt zurück blieb. Das Buch ist gespickt von Andeutungen und kleinen Geheimnissen, die alle samt wirklich erst ganz am Ende des Buches aufgelöst werden. Hier wird der Leser dann jedoch für sein Durchhalten belohnt. Vieles vorher eher eigenwillig Anmutendes wird besser verständlich und das Buch schließt für mich mit einer sehr schönen Moral. Wenn man erst einmal verstanden hat, worauf alles hinaus läuft, gibt das Buch auch sehr interessante Denkanstöße.

Die Charaktere der Geschichte sind sehr unterschiedlich. Der Roman lebt vor allem vom außerordentlich stark ausgeprägten Charakter von Mrs Saint. Beim Lesen habe ich die gesamte Zeit zwischen: "Sie ist einfach genial" und "Ich könnte sie erwürgen" geschwankt. Ein kleine alte Dame, herrschsüchtig mit einem Hang sich überall einzumischen und zu helfen, egal ob ihre Hilfe willkommen ist oder nicht. Doch versteckt sich in ihr auch eine sensible Seite. Julie Lawson Timmer hat Mrs Saint so wundervoll beschrieben, so greifbar gemacht, dass ich sie bereits aus dem Buch heraus marschieren sah. Mrs Saint hat mich emotional am meisten berührt.
Ganz im Gegensatz dazu steht Markie, die in ihrer Darstellung blass wirkt ohne viel Emotionen, fast schon ein wenig lethargisch, was aber auch wieder gut zu ihrer persönlichen Situation passt. Trotzdem war es für mich schwierig eine Beziehung zu ihr aufzubauen, obwohl sich das Buch zum größten Teil um sie dreht. Auch habe ich bei ihr wesentlich mehr Entwicklungen erwartet, als es dann letztendlich gab.

Es fällt mir nicht leicht dieses Buch zu bewerten. Zum einen hat man eine nette Geschichte, die auch einen durchaus ernsten Hintergrund hat und zum Nachdenken anregt. Zum anderen wirken jedoch viele Passagen langatmig und während man das gesamte Buch hindurch versucht zu verstehen, wohin die Geschichte eigentlich führt, muss man sich wirklich bis zum letzten Kapitel gedulden, bis aufgelöst wird und alles einen Sinn bekommt.
Ich persönlich kann "Ein halbes Jahr zum Glück" weder von Herzen empfehlen, noch würde ich vom Lesen abraten. Dieses Buch muss jeder für sich selbst lesen und dann für sich selbst entscheiden.