Rezension

Eine kostbare Buchperle!

Ein Mädchen nicht von dieser Welt - Aharon Appelfeld

Ein Mädchen nicht von dieser Welt
von Aharon Appelfeld

Bewertet mit 5 Sternen

Adam und Thomas, zwei neunjährige jüdische Jungen, begegnen sich zufällig im Wald. Beide wurden von ihren Müttern dorthin gebracht, um sich vor einer drohenden Deportation zu verstecken. Doch als die Mütter sie nicht wie vereinbart am Abend wieder abholen, müssen die beiden lernen, eigenständig im Wald zurechtzukommen, um nicht zu verhungern oder zu erfrieren. Mitten im Krieg erfahren sie aber auch Mitmenschlichkeit und Hilfe in größter Not – auf oft ungeahnten Wegen...

„Es gibt keinen Zufall auf der Welt. Alles ist vorbestimmt. Wenn du jemanden triffst, heißt das, dass du ihn treffen musstest, und dann gibt er dir etwas, was dir fehlt. Man darf keine Begegnungen ignorieren. Jede Begegnung mit einem anderen Menschen enthält eine Botschaft.“ (S. 17)

In einer fast schon poetisch anmutenden Sprache erzählt Ahron Appelfeld aus der Sicht zweier Kinder über den Krieg und seine Grausamkeiten. Der Autor verarbeitet mit diesem Roman seine eigenen Erfahrungen, denn er überlebte den Zweiten Weltkrieg als Kind ebenfalls versteckt in den ukrainischen Wäldern. Führt man sich diese Biografie vor Augen, erscheint der Erzählton des Romans nur umso beeindruckender. Denn Appelfeld schreibt keineswegs düster und bedrückend, sondern lässt seine beiden Protagonisten trotz der Kälte, des Hungers und der Verzweiflung auch Momente der Hoffnung, der puren Lebensfreude und des Glaubens erleben.

Zwischen den beiden Jungen, die eigentlich im selben Ghetto lebten und in die gleiche Klasse gingen, sich aber dennoch kaum kannten, entspinnt sich im Laufe der Zeit eine enge Freundschaft. Der sehr pragmatisch veranlagte, aber dabei tief gläubige Adam weiß für nahezu jedes Problem eine Lösung und beeindruckt Thomas immer wieder mit seinem blinden Vertrauen auf Gott. Im Gegensatz zu Adam hat Thomas Angst vor dem Wald und kennt sich darin kaum aus. Er ist dafür aber sehr gebildet und wissbegierig und stößt einige interessante Diskussionen mit Adam an. Genau diese Andersartigkeit nutzt der Autor, um große Themen wie Krieg, den Glauben an Gott und den Wert der Natur aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Fast könnte man beim Lesen vergessen, dass hier zwei Kinder miteinander reden und agieren, denn man kann nur staunen über den kindlichen Weitblick und das natürliche, fast elementare Verständnis für die wirklich wichtigen Dinge im Leben.

„Ich habe gedacht, ein gläubiger Mensch hofft, dass Gott sich ihm zeigt?“, fragte Thomas verwundert. „Mein Großvater sagt immer: Gott ist in allem. Das bedeutet: Wer Gott sucht, kann ihn überall finden, in den Menschen, in den Tieren und sogar in leblosen Dingen.“ „Ist Gott auch in bösen Menschen?“  „Böse Menschen haben ihn aus sich vertrieben.“ (S. 74)

Mich hat die Schlichtheit dieses Romans tief beeindruckt. Leise und sanft brachte er Etwas in mir zum Klingen, das ich selbst kaum benennen kann. Möglicherweise ist es einfach die Sehnsucht danach, die Welt nochmal mit den Augen eines Kindes betrachten zu dürfen. Ich wünsche diesem Roman viele Leser, denn „dieses Buch zeigt uns nichts geringeres, als wie man Leben soll.“ (Livres Hebdo)