Rezension

Eine Legende ist eine Lüge, eine allgemeine Wahrheit zu erklären

Das Labyrinth der Lichter - Carlos Ruiz Zafón

Das Labyrinth der Lichter
von Carlos Ruiz Zafón

Bewertet mit 3 Sternen

Zafón beendet seinen vierbändigen Zyklus um den „Friedhof der Vergessenen Bücher“ in seiner geliebten Heimatstadt Barcelona mit dem „Labyrinth der Lichter“. Zwar versichert die Vorbemerkung, man könne den vierten Band auch lesen, ohne die anderen drei zu kennen, aber für den sättigenden Lesegenuss sollte man dieser Vorbemerkung nicht trauen.

Zur Handlung

Der im Franco-Regime emporgekommene Minister Mauricio Valls ist 1958 verschwunden, und die ungewöhnliche Geheimpolizistin Alicia Gris sowie der altgediente Hauptmann Vargas sollen ihn in Barcelona aufspüren. Alicia ist die zentrale Figur des Romans - eine bisweilen zynische, desillusionierte Femme fatale mit besonderen Ermittlerqualitäten, deren Vergangenheit mit dem Personal der anderen drei Bände verwoben ist - mit Fermín und der Familie Sempere. Alicia und Vargas begeben sich auf Valls‘ Spur, folgen den mysteriösen Hinweisen auf die Bücher des Schriftstellers Víctor Mataix und folgen den verschlungenen Pfaden durch das magische Barcelona und die Zeit der sterbenden Republik 1936-1944. Nach dem Angriff auf Vargas und Alicia am Ende des zweiten Buchdrittels wechseln die Akteure: Alicia tritt in den Hintergrund und die grausamen Täter des Regimes und ihre Opfer treten hervor: Leandro, Hendaya, Valls sowie David Martín, Mataix, Ariadna und Mercedes. Den Roman beschließt eine epilogische Sequenz aus der dritten Sempere-Generation und eine Rückkehr zu Julián Carax und dem „Schatten des Windes“

Drei starke Frauenpersönlichkeiten beweisen ihre selbstbewusste Eigenständigkeit: Alicia, Ariadna und die mit Daniel Sempere verheiratete Bea. Auch an diesen drei Frauenfiguren wird deutlich, dass Zafón sich für seine Figuren nicht gleich viel Mühe gegeben hat: Während Alicia vielschichtig und interessant ist, bleibt Bea eindimensionales Abziehbild. Regelrecht hölzern kommt ihr Gatte Daniel daher. Mit Vargas und Fermín schafft Zafón zwei gelungene Sympathieträger, mit Leandro und Hendaya zwei Antagonisten, die stets am Rande des Klischees wandeln.

 

Was ist besonders gelungen?

Zafón versteht es, seine Geschichten so zu schreiben, dass sie sich in einem Taumel aus Bewegung und Farbe, Atmosphäre und Stimmung wie von selbst lesen. Die Lektüre geschieht in höchster Rasanz, man fühlt sich durch die Handlung getragen, nie gehetzt. Gerade der Einstieg in das „Labyrinth der Lichter“ - Fermíns Ankunft in Barcelona und die Bombennahct, in der die junge Alicia verletzt wird - erzeugt den „Zafónschen Leserausch“, der seine Romane so besonders macht. „Eine Legende ist eine Lüge, eine allgemeine Wahrheit zu erklären“ (S. 184)

Die besondere Chemie zwischen Alicia und Vargas sowie die Atmosphäre bei den Semperes sind ebenfalls gelungen und beweisen die Erzählkunst des Autors, der den Schriftsteller David Martín sagen lässt, „… dass es in der Literatur nur ein wirkliches Thema gebe: nicht was man erzählt, sondern wie man es erzählt.“ (S. 784) Das hat Zafón drauf, auch wenn die Liebeserklärungen an sein Barcelona bisweilen entweder überziehen („Barcelona ist ein verhextes Haus.“ S. 389) oder ins Banale abrutschen („Licht und Schatten wie diese Stadt“ S. 485).

 

Was hat nicht gefallen?

Zafón reißt seine Leser mit in eine gelungene Kriminalhandlung, bei der sein Ermittlerteam aus Alicia, Vargas und ein paar Statisten in die Abgründe der frühen Franco-Ära und die vielen tragischen Geschicke der Opfer und ekelhaften Missetaten der Täter steigt. Dabei breitet sich der Plot in vielfachen Verzweigungen aus und ist bei der Lektüre nur schwer in Händen zu halten. Dass hier Längen entstehen, ist allerdings deutlich verzeihlicher als die Tatsache, dass der Autor seine Leser um den Erfolg der Ermittlungen bringt: Es sind nicht Alicia und Vargas, die dem Leser die Zusammenhänge um Minister Valls‘ Verschwinden und seine Verbrechen enthüllen, sondern die darin verstrickten Personen. Nach den Attacken auf Vargas und Alicia endet die zentrale Handlung zugunsten mitunter retrospektiver Zusammenfassungen, vor allem aber den Aktionen anderer Figuren. Wer die anderen Bände des „Friedhofs der vergessenen Bücher“ kennt, mag ab Seite 600 immer noch auf seine Kosten kommen, weil nicht nur die Mysterien des vierten Bandes aufgeklärt werden; wer aber nur Band vier kennt, darf sich zu Recht um einen ordentlichen Abschluss des auf den ersten 600 Seiten Erzählten betrogen fühlen.

Der Epilog um Julián Semperes Vergangenheitsbewältigung und seine Parallelisierung mit Zafón selbst  gewähren zwar interessante Einblicke in die Konzeption des Zyklus‘des „Friedhofs der verschollenen Bücher“ (S. 896-898), wirkt aber erzählerisch und inhaltlich wie ein Fremdkörper.

Fazit

„Das Labyrinth der Lichter“ ist glänzend geschrieben und bereitet großes Lesevergnügen. Selbst die oben beschriebenen Schwächen trüben den Gesamteindruck nicht übermäßig. Der Roman ist ein empfehlenswerter Schmöker, den man allerdings erst nach Genuss der anderen drei Bände lesen sollte.