Rezension

Eine österreichische Miss Marple

Tod am Semmering - Beate Maly

Tod am Semmering
von Beate Maly

Bewertet mit 5 Sternen

„...Wenn er dieses Wochenende überstand, hatte er so viele gruselige Gute-Nacht-Geschichten für Rosa, dass es für ein ganzes Leben reichte...“

 

Das Buch beginnt im Jahre 1917. Zwei Jungen gehen zum Spielen ins Freie. Wenige Minuten später sind sie tot.

Dann wechselt die Geschichte ins Jahr 1922. Die pensionierte Lehrerin Ernestine Kirsch wohnt zur Untermiete beim Apotheker Anton Böck. Nebenbei unterrichtet Ernestine die Kinder der Familie Rosenstein. Da Frau Rosenstein erkrankt ist, hat sie Ernestine zwei Karten für einen Tangokurs im luxuriösen Hotel am Semmering geschenkt. Heide, Antons Tochter, und Rosa, seine Enkeltochter, überredet Anton, mitzufahren. Dabei gehört Tanzen nicht zu seinen Hobbys. Im Hotel trifft sich eine illustre Gesellschaft. Doch einer von ihnen, Herr von Rauch, ist am nächsten Morgen tot. Er war schon am ersten Tag durch sein Meckern unangenehm aufgefallen. Ein heftiger Schneesturm sorgt dafür, dass niemand das Hotel verlassen kann. Selbst für die Polizei ist es unerreichbar. Selbstbewusst nimmt daraufhin Ernestine die Ermittlungen in die Hand.

Die Autorin hat einen fesselnden Krimi geschrieben. Die Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen.

Die Protagonisten werden gut charakterisiert. Ernestine ist neugierig. Außerdem verfügt sie über Durchsetzungsvermögen und die Fähigkeit, Menschen zu anleiten. Sie ist sich ihres Könnens bewusst und lässt sich vom Reichtum der anderen nicht beeindrucken. Anton ist eher zurückhaltend. Ohne Ernestines couragiertes Auftreten würde ihn der Fall nur marginal interessieren.

Der Schriftstil des Buches lässt sich gut lesen. Der eingeflochtene Wiener Dialekt gibt den Buch seinen besonderen Flair. Geschickt hat die Autorin die Gruppe der Protagonisten zusammengesetzt. Die ältere Generation zerfällt in zwei Gruppen. Eine ist die der Kriegsgewinnler, die andere die derjenigen, bei denen der Krieg unvergessene psychische Wunden hinterlassen hat. Die wenigen jungen Leute sehen kritisch auf das Tun ihrer Eltern und wollen eigene Wege gehen. Das Zusammenleben auf engsten Raum sorgt für einen hohen Spannungsbogen. Hinzu kommen immer neue Ereignisse und Erkenntnisse, die die Zahl der möglichen Täter erhöhen. Erpressungen und Eifersucht wären mögliche Motive. Sprachliche Höhepunkte waren für mich die Gespräche zwischen den Protagonisten. Hier wird der Krieg und seine Folgen aufgearbeitet. Insbesondere das Buntschießen, das heißt die Verwendung unterschiedlicher Giftgasgranaten, steht mehrmals im Mittelpunkt. Es wird deutlich, welch grausamer Tod die Folge war. Gleichzeitig treffen die Opfer hier im Hotel auf zwei Personen, die diese Waffen hergestellt und sich damit dumm und dämlich verdient haben. Die Autorin hat ein kompliziertes Beziehungsgeflecht gestrickt. Die Gräben reichen bis tief in die Familien. Trotz der ernsten Problematik kommt der Humor nicht zu kurz, wie das kurze Zitat von Anton oben zeigt. Auflockernd wirken die Tangostunden und exzellenten Mahlzeiten.

Das Cover in Schwarz-Weiß finde sehr gut gelungen.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Das liegt nicht nur in der im englischen Stil geschriebenen Krimihandlung oder an Ernestine, der österreichischen Miss Marple, sondern auch an den vielfältigen Hintergrundinformationen, sei es über Giftgasgranaten oder Arsennachweis. Für mich ist es nicht nur ein Krimi, sondern gleichzeitig ein Antikriegsbuch, denn es zeigt nicht nur unterschwellig, wie sinnlos junge Männer verheizt wurden. Selbst in den Überlebenden hat der Krieg unauslöschliche Spuren hinterlassen.