Rezension

Eine philosophische Schatzkiste - schwer zu heben

Leben lernen - ein Leben lang - Albert Kitzler

Leben lernen - ein Leben lang
von Albert Kitzler

Bewertet mit 4 Sternen

Schätze liegen selten offen zutage. Es kostet Mühe, sie zu heben und so ist es sicher auch mit diesem Buch, das sich mit den philosophischen Weisheiten des Stoikers Seneca beschäftigt, der noch heute häufig zitiert wird, ebenso wie Epiktet oder Marc Aurel.

Seneca, der im Buch als 'Lehrer' vorgestellt wird, hatte ein bewegtes Leben, das von der Verbannung bis zur Stellung als einer der einflussreichsten Männer Roms reichte. Er hat sich intensiv mit einer praktischen Philosophie, der 'Liebe zur Weisheit', mit der Kunst des Lebens beschäftigt. Was er vor 2000 Jahren geschrieben hat, wird noch heute gelesen.

Albert Kitzler, der Autor dieses Buches, ordnet Senecas Weisheiten und Überlegungen drei Themenkreisen zu: dem Umgang mit der Welt, dem Umgang mit sich selbst und dem Umgang mit anderen, Bereiche, die eng zusammengehören und sich gegenseitig durchdringen.

"Letztendlich geht es um eines: ein gutes, glückliches Leben."

Das klingt einfach, ist aber schwer, denn es gibt vieles in der menschlichen Seele, das uns hindert, gemäß unseren Werten zu leben und menschliche Fehler und charakterliche Schwächen als solche zu erkennen und zu beheben. Das ist eine lebenslange Aufgabe, die manche nie erfolgreich meistern, worin sich Seneca, der Autor des Buches und die Leser sicher einig sind. Aber auch kleine Verbesserungen bringen Fortschritte, führen in die angestrebte Richtung.

Was macht nun das Buch so schwierig?

Obwohl Senecas Zitate in eine zeitgemäße Sprache übersetzt wurden, waren mir nicht alle verständlich, einige nur nach längerem Nachdenken oder der Hilfe des Autors. Aber auch die Erläuterungen von A. Kitzler bleiben in Teilen schwierig zu verstehen, immer dann, wenn es sehr abstrakt wird (wobei das nur meine Meinung widerspiegelt).

Das Verstehen wird durch ein äußeres Charakteristikum nicht gerade erleichtert: anstatt ein Zitat Senecas deutlich abgesetzt voranzustellen und es im Folgenden zu erläutern, gibt es zu jedem Unterkapitel eine Art Fließtext, in dem Senecas Text und der des Autors miteinander verwoben sind. Die Zitate sind wohl deutlich als solche gekennzeichnet und in wissenschaftlicher Art hinten im Buch belegt, aber ich habe mich an manchen Stellen gefragt: Spricht da jetzt Seneca, paraphrasiert der Autor Senecas Texte oder ist es seine Meinung?

Vermisst habe ich über weite Strecken Hilfen, gar Tipps zur Verwirklichung dessen, was man einsieht und verinnerlichen möchte. Oft habe ich mir an den Rand geschrieben: Wie denn? Es mag auch daran liegen, dass so mancher Hinweis sich im Fließtext 'versteckt' und nicht so ohne Weiteres ins Auge springt. Als Autor kann man sich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass der Leser sich das selbst erarbeiten muss. Möglicherweise bringt das den größten Gewinn, aber ich denke, dass in unserer heutigen schnelllebigen Zeit mehr konkrete, deutlich markierte Hilfen zu größeren Erfolgen führen würden.

Trotz aller Schwierigkeiten, dieses Buch zu lesen und der wahrscheinlich noch größeren, etwas davon umzusetzen, kann es für denjenigen, der damit arbeitet, Gewinn bringen und in Richtung größeres Lebensglück und zu mehr Weisheit führen. Aber – der Autor sagt es im Schlusswort selbst – wer nicht bereit ist, Zeit zu investieren, wird nichts an sich selbst und seinem Leben ändern.

Dies ist also ein Buch, eine Art Lebensbegleiter, das man intensiv lesen muss, immer wieder zur Hand nehmen sollte und in das man Zeit und Arbeit investieren muss, wenn man damit Fortschritte erzielen möchte. A. Kitzler schreibt selbst, dass "wir nicht alles verarbeiten können und es bestimmte Stellen und Sätze sind, die zu uns sprechen".

Ein letztes Trostwort für den geforderten / überforderten Leser: Obwohl die Selbsterziehung als lebenslange Aufgabe anzusehen ist, darf man sicher sein, dass auch kleine Schritte ein Erfolg sind.

P.S. Übrigens: Auch Seneca muss nicht in allem Recht haben und nimmt dem Leser nicht das eigene Denken ab.