Rezension

Eine Pilgerreise nach Matsushima und zu Japans lebensmüder Jugend

Die Kieferninseln - Marion Poschmann

Die Kieferninseln
von Marion Poschmann

Bewertet mit 5 Sternen

Die Kieferninseln von Matsushima werden zu den schönsten Landschaften Japans gezählt. Matsushima ist ein japanischer Ort an der Nordostküste, rund 50 Meilen nördlich von Fukushima gelegen, der von Matsuo Bashō in seinem Reisetagbuch „Oku no Hosomichi“ genannt wird. Als Gilbert Silvester im Ärger über seine Frau Hals über Kopf eine Japan-Reise beschließt, will er auf den Spuren Bashōs nach Matsushima pilgern und dort den Mond über den Kieferninseln aufgehen sehen. Gilbert ist Wissenschaftler, der über den Bart im Film aus feministischer und religiöser Perspektive forscht. Dass er noch keine reguläre Professur erreichen konnte, erklärt sich Gilbert nicht etwa damit, dass er sich mit brotloser Kunst befasst, sondern mit dem fehlenden familiären Hintergrund, der ihm zur Unterstützung seiner Karriere fehlt. Dass Gilbert sich urplötzlich einbildet, seine Frau würde ihn betrügen, schließlich wäre sie in letzter Zeit verdächtig gut gelaunt, lässt um seine geistige Leistungsfähigkeit fürchten. In Gilberts Opferhaltung passt perfekt seine Behauptung, Matilda als Verursacherin seiner Misere hätte ihm seine spontane Japanreise quasi aufgezwungen. Japanisch kann er nicht und sein Traumland war Japan bisher auch nicht.

Kurz nach der Ankunft trifft Gilbert auf einen ziegenbärtigen jungen Mann, der sich offenbar in japanischer Korrektheit das Leben nehmen will. Yosa Tamagotchi fürchtet den hohen Ansprüchen der japanischen Gesellschaft nicht zu genügen und hätte am liebsten schon viel früher Schluss mit dem Leben gemacht. Das Handbuch zu Japans berühmtesten Stätten für Selbstmörder wird zum Reiseführer einer gemeinsamen Pilgerreise. Fehlt nur noch, dass mit Gilbert der Lehrende durchgehen und er Yosa aus westlicher Sicht belehren wird. Schließlich legt Gilbert zwischen sich und seine Bartprofessur die größtmögliche Distanz und landet an einem rührend idyllischen Fleck Japans, der rein zufällig in Sichtweite von Fukushima liegt, dem Schauplatz der Atomkatastrophe von 2011. Die Autorin malt zum skurilen Innenleben ihres Protagonisten perfekt die außergewöhnlichen Grüntöne Japans, das - äußere - Bild eines Landes, das seine Berge als heilig schützt und die Städte und Verkehrswege am Meer und in den Tälern konzentriert.

Als wandelnder Hofnarr des deutschen Wissenschaftsbetriebes gerät Gilbert auf eine makabre Pilgerreise durch Japan. Der alternde Professor bewegt sich auf dem Grat zwischen betörender Landschaft und den teils grotesken Zumutungen des japanischen Alltags. Stilistisch hat mich Marion Poschmanns höchst ironische Erzählung sofort gepackt; und von Gilbert und Yosa hätte ich gern mehr als eine schlanke Erzählung gelesen.