Rezension

Eine starke Frau aber ein sachlicher Roman

Olga - Bernhard Schlink

Olga
von Bernhard Schlink

Bewertet mit 3.5 Sternen

Sehnsucht nach Großem, Sehnsucht nach Nähe

"Sie sah, dass die Rolle, die sie in Herberts Leben spielte, an die Rolle der Geliebten im Leben eines verheirateten Mannes erinnerte. Der verheiratete Mann lebt in seiner Welt und geht seinen Dingen nach, und gelegentlich spart er aus seinem Leben ein Stück aus und verbringt es mit der Geliebten, die an seiner Welt und seinen Dingen keinen Anteil hat. Aber Herbert war kein verheirateter Mann, es gab keine Frau und keine Kinder, zu denen er zurückgekehrt wäre.“

Inhalt

Am Vorabend des ersten Weltkrieges beginnt die Liebesbeziehung zwischen dem ambitionierten Herbert und der unangepassten Olga. Nachdem sie bereits in Kinderjahren gute Freunde waren, entwickelt sich nun eine echte Liebesbeziehung, die allerdings in Familienkreisen nicht gutgeheißen wird. Für Herbert wäre eine deutsche, tugendhafte Frau, die sich anpasst und ins Familienleben einfügt genau die richtige Partie, doch Olga besucht das Lehrerinnenseminar und meistert ihr Leben sehr konsequent. Auf einen Beschützer ist sie nicht angewiesen. Unbeirrt meistern sie gemeinsam ein Stück des Weges, überzeugt von der Funktionalität ihrer Beziehung und der Echtheit ihrer Liebe. Doch Herbert strebt nach Größerem und kann Olgas Sehnsucht nach Nähe nur spärlich erfüllen. Schon bald ist ihr klar, dass es mit diesem Mann kein normales Familienglück geben wird. Und als Herbert schließlich eine Expedition ins arktische Eis antritt, wird es für Olga immer schwerer, an ein glückliches Ende zu glauben …

Meinung

Bernhard Schlink, der sich mit seinem beeindruckenden Debütroman „Der Vorleser“ in die Herzen der Leserschaft geschrieben hat, greift auch in dieser Erzählung eine sehr ungewöhnliche, definitiv nicht alltägliche Liebesbeziehung auf und seziert sie auf ihre tatsächlichen Bestandteile. Die, je genauer man hinschaut, immer weiter zerfasern und wenig Substanz besitzen, dafür umso mehr Nachhaltigkeit und Beständigkeit. Eine Beziehung, die zwar auf Liebe basiert, in der die Gefühle aber nicht wirklich zum Ausdruck kommen, eine Paarbeziehung, bei der die starken Einzelcharaktere die Weichheit und Freude abschleifen und der es mehr um Durchhalten, als um Zusammenhalten geht.

Während Olga die zentrale Figur der Geschichte ist und der Leser sehr genau in ihr Gefühlsleben aber auch in ihren Alltag Einblick gewinnt, bleibt Herbert, der männliche Part eine diffuse, eher blasse Figur, die zwar vom Ehrgeiz zerfressen aber gleichzeitig unfähig ist, eine zwischenmenschliche Beziehung zu führen. Sehr unterschiedlich wirken die beiden Menschen hier, bei denen der Leser nur hin und wieder spürt, warum sie in Liebe zueinander gefunden haben. Meist jedoch fragt man sich, welches Band die beiden tatsächlich miteinander verbinden konnte. Es bleibt ein kleines Mysterium, ein Fragezeichen im Raum und letztlich auch der Grund dafür, warum man als Leser sehr genau wissen möchte, welches Ende diese Liebe nimmt.

Der Autor teilt sein Buch in drei Abschnitte, im ersten erzählt Olga von ihrer Liebe zu Herbert und den Schwierigkeiten eines gemeinsamen Alltags, im zweiten erfährt der Leser aus dritter Hand von Olgas Leben nach der Expedition ihres Geliebten und im letzten Teil kann man direkt die Liebesbriefe von Olga an Herbert lesen, die über einen Zeitraum von vielen Jahren schildern, welche Beweggründe die junge Frau für ihre Handlungen hatte und welche Wünsche in ihrer Seele schlummerten. Prinzipiell eine sehr gut gewählte, vielschichtige Perspektive, die hier jedoch etwas unter der Kargheit einer unterkühlten Liebe leidet. Stellenweise kam es mir so vor, die Protagonistin füllt den Raum mit ihrer eigenen Person, weil das Gegenüber schlicht und einfach niemals da ist und die kurzen Momente dieser Liebe nicht reichen, um über Jahrzehnte die gleiche Intensität zu bewahren. Zumindest dieser Punkt wirkt sehr glaubhaft für den Leser.

Trotzdem fehlt der Erzählung einiges, um zum Lieblingsroman zu werden. Zunächst ist es die ständige Distanz, nicht nur zwischen den handelnden Personen, sondern auch zwischen dem Leser und der Geschichte an sich. Alles wirkt sehr sachlich, stellenweise zu glatt und trifft stets einen bedauernden Unterton, der kaum unterbrochen wird. Statt Liebe und Zuneigung findet man hier eher eine intellektuelle Auseinandersetzung mit zwei unterschiedlichen Menschen, die sich zwar alles bedeuten aber andererseits auch sehr gut allein leben können. Spürbar wird die Kluft allemal, auch der Wunsch nach Veränderung, im Wechsel mit dem Wunsch nach uneingeschränkter Akzeptanz - und das alles vor einem historischen Hintergrund, der mitnichten nach Verbindung und Lebensgestaltung schreit. Insgesamt wollte mir der Autor hier eindeutig zu viel. Er greift viele Fäden auf, verwebt Historisches mit Persönlichem und bleibt trotzdem irgendwo zwischen Können und Wollen hängen.

Letztlich fehlt es mir an Aussagekraft, an einer runden Geschichte, selbst wenn es sich hier um ein Drama handeln sollte, so würde ich nicht einmal das richtig spüren. Erzählerisch mag ich die schlichte, wortschöne Erzählweise des Autors sehr, die Lesestunden vergehen wie im Flug und die Geschichte hat Potential, man ist interessiert und möchte gerne mehr erfahren. Doch letztlich überwiegt diese Ungewissheit, es scheint nur die Abbildung eines Menschenlebens zu sein, wie es eben passiert sein könnte. Jede andere Wendung wäre aber auch denkbar gewesen und so fehlt mir trotz einer schönen Erzählung das gewisse Etwas, vielleicht auch nur die Antwort auf die Frage: „Warum leben wir in Paarbeziehungen, die niemals so werden, wie wir sie erträumen?“ Und wenn man schon in einer derartigen Situation ist, so muss es doch möglich sein, mehr Emotionen an die Leserschaft zu transferieren.

Fazit

Ich vergebe 3,5 (aufgerundet 4) Lesesterne für diesen Roman über unerfüllte Liebe, historische Ausnahmezustände, entschlossene Menschen und dem unabdinglichen Verlauf des Lebens. Vielversprechende Ansätze, deren Ausarbeitung mich nicht immer überzeugen konnte, dafür jedoch ein Buch mit viel Liebe zum schriftstellerischen Handwerk, mit einem unverwechselbaren Generalismus, der sich auf kleine Details ebenso wie auf weltbewegende Veränderungen konzentriert. Mit „Olga“ trifft man eine starke Frau, die sich sehr bewusst war, was es heißt zu lieben, ohne gleichermaßen zurückgeliebt zu werden. Und im Nachhinein betrachtet, ist diese Erkenntnis doch ein bitteres Los.