Rezension

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Eine verlorene Seele findet zu sich selbst

Leinsee
von Anne Reinecke

Bewertet mit 4 Sternen

In Leinsee von Anne Reinecke geht es um Karl, den Sohn des berühmten Künstlerehepaars August und Ada Stiegenhauer. Die Geschichte fängt damit an, dass Karl zurück in seinen Geburtsort Leinsee reist. Er wurde dorthin bestellt, da sein Vater Selbstmord beging und seine Mutter an einem Hirntumor notoperiert wird. Seine Eltern lebten und schufen ihre Kunstwerke in einer Art Symbiose. Es gab keinen Platz für ein Kind in ihrem Leben, deshalb schickten sie Karl mit 10 schon auf ein Internat. Sie besuchten ihn nie und schrieben ihm auch nie. Karl wuchs ohne Liebe und elterlichen Beistand auf. Nach dem Abitur wendete er sich von seinen Eltern ganz ab, lebte unter einem Pseudonym in Berlin und startete seine eigene Künstlerkarriere. Seine Freundin Mara war zu diesem Zeitpunkt die einzige Person in seinem Umfeld, die wusste wer er wirklich war. 

Sein Vater wählte den Freitod im Glauben, dass auch seine Frau die Operation an diesem Tag nicht überleben würde. Doch sie überlebte wie durch ein Wunder. Karl nistete sich in seinem Geburtshaus ein. Im Garten lernte er Tanja, ein kleines Mädchen aus dem Ort kennen. Er mochte sie und genoss ihre Anwesenheit. Sie machten sich gegenseitig Geschenke. Als Karls Mutter Ada wieder erwachte, stellte man fest, dass sie ihr Gedächtsnis zum Teil verloren hatte. Sie erkannte Karl als ihren Mann August wieder. Wieder würde Karl von seiner Mutter enttäuscht und nicht mit Mutterliebe beglückt. Doch Karl spielte das Spiel mit und ließ seine Mutter in dem Glauben ihr Leben weiter an der Seite ihres Mannes fortzuführen. Karl versuchte ihr Leben so angenehm wie möglich zu gestalten und holte sie oft zu Ausflügen nach Leinsee ab. Auch Tanja lernte Ada kennen. Tanja spielte das Rollenspiel ebenfalls mit. Kein Verständnis für diese Komödie hatte allerdings Mara Karls Freundin aus Berlin. Karl wird hier klar, dass er Mara nicht wirklich liebt.

Nach dem doch letztendlich plötzlichen Tod Adas, lässt Karl Leinsee hinter sich und geht in sein altes Leben nach Berlin zurück. Doch er fühlt sich nicht mehr wohl in Berlin. Nach einiger Zeit trennt sich Karl von Mara und kehrt 6 Jahre später nach Leinsee zurück. Karl entledigt sich von Altlasten aus seinem bisherigen Leben in Form eines riesigen Feuers. Karl entrümpelt die Villa und macht ein großes Feuer im Garten. Tanja, mittlerweile eine Jugendliche, hilft ihm dabei auch seinen Seelenbalast bei diesem Feuer zu entsorgen. Karl ist wieder frei für Neues. Seine künstlerische Ader ist wieder erwacht und er erschafft Großes. Tanja ist immer an seiner Seite und als Tanja erwachsen ist, kommt es doch wie es kommen musste. Sie beginnen eine anscheinend untrennbare Beziehung zu einander. Sie lieben sich, doch Tanja lässt es nicht zu als Freundin des berühmten Karl Stiegenhauers in Erscheinung zu treten. Karl tut alles für Tanja und verkleidet sich sogar, um mit ihr in der Öffentlichkeit auftreten zu können. Karl ist zum ersten Mal in seinem Leben richtig glücklich. 

Tanja trennt sich nach dem Abitur von Karl, um ihren eigenen Weg zu finden. Für Karl scheint wieder eine Welt zusammen zu brechen, Tanja schickt ihm aber einen Hoffnungsschimmer in Form einer Brieftaube. Ende offen und mit viel Raum für die Phantasie des Lesers. 

Mir gefällt der Schreibstil von Anne Reinecke sehr gut. Das Buch lässt sich flüssig lesen. Die Karraktere werden gut beschrieben und man schließt sie als Leser nicht unbedingt alle in sein Herz. Anne Reinecke wählt Farben als Kapitelüberschriften, was mich komplett begeistert hat. Mal was ganz anderes und man überlegt schon beim Lesen der Überschriften, was sich dahinter verbergen kann. Ihre bildhaften Beschreibungen fand ich ebenfalls grandios. Als Beispiel: "In seinem Brustkorb brannte es. Und es stach, als würde sich ein zusammengerollter Igel darin drehen." 

Nicht komplett begeistert hat mich der mittlere Teil des Buches. Ich habe der Autorin die Geschichte zwischendurch nicht abgenommen. Abstrus fand ich als Beispiel die Szene wo Ada Karl küsst. Ein Kuss zwischen 2 Liebenden. Nicht glaubenswürdig finde ich daran, dass Karl dies zu lässt und seine Mutter nicht aus Reflex von sich wegstösst. Auch bei der Teeparty ergibt sich eine Situation, die für mich nicht rund ist. Tanja verkleidet sich anlässlich dieser Teeparty als ein Mädchen aus früheren Zeiten. Auf diese Idee kommt meiner Meinung nach keine 8 oder 9 jährige. Aber Anne Reinecke hat es immer wieder geschafft mich bei kurzen Zweifeln wieder glaubwürdig in die Geschichte zu holen. 4 Sterne sind mein Resümee.