Rezension

Eine wilde, aber dennoch unterhaltsame Mischung

Alles Licht, das wir nicht sehen - Anthony Doerr

Alles Licht, das wir nicht sehen
von Anthony Doerr

Mit „Alles Licht, das wir nicht sehen“ hat der Autor Anthony Doerr offenbar bei den amerikanischen Lesern voll ins Schwarze getroffen. Wie sonst ließe sich die Fülle von Auszeichnungen erklären, die dieser Roman erhalten hat? Finalist des National Book Award 2014, Auszeichnung der New York Times Book Review als bestes Buch 2014 und als Krönung Pulitzer Preis Literatur 2015, um nur einige zu nennen. Es muss wohl an den Themen liegen, die Anthony Doerr verarbeitet hat, denn das ist es, was die amerikanischen Leser an der europäischen Historie fasziniert.

Dreh- und Angelpunkt des Romans sind die Französin Marie-Laure und Werner, ein junger deutscher Funkspezialist, die sich zwar nur kurz begegnen, deren Schicksal aber untrennbar miteinander verknüpft ist. Doerr erzählt die Geschichte der beiden von frühester Kindheit an, jede für sich getrennt. In kurzen Momentaufnahmen aus wechselnden Perspektiven macht er die Leser mit ihnen und ihrer persönlichen Historie vertraut, wobei er aber auch immer die zeitgeschichtlichen Ereignisse im Blick behält.

Der Zweite Weltkrieg erschüttert Europa, und Marie-Laure lebt mit ihrem Vater in Paris. Er arbeitet dort im naturhistorischen Museum, das einen ganz besonderen Schatz beherbergt, einen Diamanten von außergewöhnlicher Größe, dem magische Kräfte zugeschrieben werden. Er soll seinem Besitzer ewiges Leben garantieren, gleichzeitig aber alle anderen, die demjenigen etwas bedeuten, mit Unglück überhäufen. Als die Invasion droht, muss der Diamant in Sicherheit gebracht werden, und so machen sich Marie-Laure und ihr Vater auf den Weg nach Saint-Malo in der Bretagne. Und dort werden sich Marie-Laure und Werner finden und wieder verlieren.

Zahlreiche Rückblenden, die weit in die Vergangenheit der beiden Protagonisten zurückreichen, runden das Gesamtbild ab. Zusätzlich versorgen die realitätsnahen Beschreibungen des Kriegsalltags die Geschichte mit dem entsprechenden Zeitkolorit. Worauf man allerdings gut hätte verzichten können, ist der besessene Stabsfeldwebel auf der Suche nach dem Diamanten. Total überzeichnet, fast schon eine Karikatur, ist dieser Handlungsstrang nur insofern relevant, als er Einzelepisoden miteinander verbinden kann.

Es ist ein Kaleidoskop kleiner Momentaufnahmen, aus denen Anthony Doerr die Geschichte von Marie-Laure und Werner zusammensetzt. Diese Art des Erzählens erfordert einen aufmerksamen Leser, wobei es weniger die Perspektivwechsel als vielmehr die permanenten Zeitsprünge und unterschiedlichen Schwerpunkte sind, die  die jeweiligen, meist sehr kurzen, Abschnitten bestimmen. Es sind schnelle Schnitte, die des Öfteren das Gefühl vermitteln, man befände sich in einem Videoclip, was den Lesefluss erheblich stört.

Der Autor verwendet eine sehr bildhafte Sprache, die vor Adjektiven nur so strotzt. Da wirken „Bäume wie skelettierte Hände, deren Blätter am Himmel flüstern“. Zu überladen, zu schwülstig, zu süßlich - hier möchte man dem Autor zurufen „show, don’t tell“.

Das Schicksal eines blinden Mädchen, der Zweite Weltkrieg und die Nationalsozialisten, ein deutscher Soldat mit goldenem Herzen, die französische Résistance, ein Edelstein, dem magische Kräfte zugeschrieben werden und um dessen Besitz  ein heißer Kampf entbrennt, und last but not least eine zarte Liebesgeschichte. Sie meinen, das hört sich nach einer wilden Mischung an? Ja, das ist es auch. Keine große Literatur, und meiner Meinung nach nicht unbedingt ein Pulitzer-Kandidat, wenn man es mit den Werken früherer Preisträger wie Cormac McCarthy, Philip Roth oder Donna Tartt vergleicht - aber dennoch eine unterhaltsame Lektüre.