Rezension

Eine wunderbare Geschichte darüber, wie die Phantasie retten und heilen kann

Valerie kocht - Maria Goodin

Valerie kocht
von Maria Goodin

Bewertet mit 4.5 Sternen

Inhalt:

„Als ich rauskam, war ich noch nicht ganz fertig. Fünf Minuten länger, und ich wäre so groß gewesen, wie die anderen Kinder, sagte meine Mutter. Meine blasse Haut führte sie auf ihre Gelüste nach Weißbrot (zu viel Mehl) zurück und fragte den Arzt, ob ich wohl besser aufgegangen wäre, wenn sie mehr Freiübungen gemacht hätte (zu wenig Luft). […] Für die nächste Schwangerschaft schlug er meiner Mutter vor, es mit einem Kopfstand zu versuchen oder sich im Kreis zu drehen […], das sei dem Mischungsvorgang zuträglich und würde zu einem besser proportionierten Baby führen.“

Alles, was Nell noch über ihre frühen Kindheitsjahre weiß, weiß sie von ihrer Mutter Valerie. Doch Valeries Geschichten sind Phantasiefabeln, die sich gerne an Metaphern über das Kochen und Backen, ihren Hobbies, orientieren.

Nachdem Nell in der Schule wegen dieser absurden Geschichten ausgelacht wird, beschließt sie, sich nur noch auf die Vernunft zu verlassen. Sie wird Naturwissenschaftlerin und führt eine kühle Beziehung mit einem ebenso rational veranlagten Freund.

Als Valerie lebensbedrohlich erkrankt und ihr nur noch wenig Zeit bleibt, quartiert sich Nell bei ihr ein, um endlich die Wahrheit über ihre Herkunft und ihren Vater, den sie nie kennengelernt hat, zu erfahren. Aber Valerie kocht, backt, werkelt in ihrem Garten – und bleibt bei ihren bekannten Geschichten.

Deshalb beginnt Nell heimlich nachzuforschen und macht die Jugendclique ihrer Mutter ausfindig. Dabei kommt sie zwar Stück für Stück der Wahrheit näher, muss schließlich aber doch einsehen, dass Geschichten trösten und heilen können und dass sich Vernunft und Phantasie ergänzen, nicht ausschließen.

Leseeindruck:

Ich habe diesen Roman mit großem Vergnügen gelesen. Die Geschichten, die Valerie erzählt, sind so phantasievoll und rührend - ich habe gar nicht genug davon bekommen können. Erinnert hat mich das Ganze ziemlich stark an den Film „Big Fish“.

Nell mit ihrer rationalen Art ist das genaue Gegenteil von Valerie. Ich konnte ihre Entscheidung für die Vernunft zwar verstehen, fand ihre Art in ihrer Radikalität aber deutlich schwerer nachzuvollziehen. Sie sieht in den Geschichten ihrer Mutter Lügengebilde, die ihr die Wahrheit vorenthalten sollen, ohne zu erkennen, wie viel Liebe aus den Geschichten der Mutter spricht.

Überrascht hat mich anfangs, dass sich Nell an einen solch großen Teil ihrer Kindheit nicht mehr erinnern konnte. Normalerweise setzt die eigene Erinnerung ja in etwa um den 3. Geburtstag ein. Nells Erinnerungslücke erstreckt sich aber über einen deutlich größeren Zeitraum. Diese Besonderheit klärt sich zum Ende des Romans allerdings schlüssig auf.

Valeries Geschichten haben mir sehr gut gefallen, und ich habe es wirklich bedauert, als Nell durch ihre Recherche alle nach und nach „entzaubert“ hat. Deshalb hat mich die erste Hälfte des Romans noch etwas mehr angesprochen als die zweite.

Leseempfehlung:

Für alle, die phantasievolle Geschichten mögen, und für alle Fans des Films „Big Fish“