Rezension

Eine wundervolle, realistische Erzählung, die sich leider am Ende zu sehr im historischen Detail verliert

Der Wille zur Liebe - Elke Vesper

Der Wille zur Liebe
von Elke Vesper

Bewertet mit 4 Sternen

Die Familiensaga der Wolkenraths in den politischen Wirrungen des 20. Jahrhunderts geht weiter. Der vierte Teil beginnt mit den Beerdigungen der Tante, welche mit ihren über 100 Jahren Lebenserfahrung eine wertvolle Stütze der Familie war, und dem Vater, Alexander Wolkenrath. Beide starben binnen weniger Tage. Von nun an sind Eckhardt, Lysbeth, Dritter und Stella in diesen schwierigen Zeiten auf sich selbst gestellt. Hamburg wird von den Alliierten nicht verschont und die Bombennächte verlangen ihnen einiges ab. Doch nicht nur die Alliierten, sondern auch die Nazis, beeinträchtigen das Leben der Familie. Lysbeths Mann Aaron ist Jude und sie versucht mit der Unterstützung der ganzen Familie alles, um ihn zu beschützen. Trotz politisch unterschiedlichen Einstellungen schweißen die Geschehnisse die Wolkenraths zusammen.

Das Buch beginnt 1941, mitten im zweiten Weltkrieg. Im Haus in der Kippingstraße wohnen Lysbeth und Aron, Eckhardt und Cynthia sowie Stella und Kapitän Jonny Maukesch. Als Kapitän der Marine befindet er im Kriegseinsatz auf einem Schiff. Eckhardt und vor allem seine Frau Cynthia sind begeisterte Anhänger des Nationalsozialismus. Derweil versucht Lysbeth alles ihr Mögliche, um ihren jüdischen Mann vor der Deportation zu bewahren. Dennoch kann sie nicht verhindern, dass Aron in Hamburg einer Arbeiterkolone zugewiesen wird und unter unmenschlichen Bedingungen schuften muss. Dritter verlässt mit seiner jungen Frau Marthe Hamburg, als diese schwanger ist und kommt in einem Hotel in Scharbeutz an der Ostsee unter. Dort verbringt er mit seiner wachsenden Familie die Dauer des Krieges und bleibt auch danach dort, um sich etwas aufzubauen.

Kurz vor ihrem Tod hat die Tante Lysbeth und Stella eindringlich mit auf den Weg gegeben, dass die beiden den Krieg unter allen Umständen überleben müssen und keine leichtsinnigen Gefahren eingehen sollen. Auch wenn dies die Schwestern oftmals in Gewissenskonflikte bringt, versuchen sie sich dementsprechend zu verhalten.

Die gemeinsamen Bombennächte im Kohlenkeller und die Angst das Dach über den Kopf zu verlieren eint die Geschwister in der Kippingstraße. Selbst Stellas Verhältnis zu ihrem verhassten Mann nimmt freundschaftliche Züge an. Sie ist sich der Bedeutung von Jonnys Einfluss als NSDAP Mitglied und Marinekapitän bewusst, welchen die Familie mehrmals für Aron nutzen muss. Häufig kreisen Stellas Gedanken um ihren britischen Geliebten Anthony sowie ihrer Tochter und Enkelin, welche sich in England aufhalten. Die jahrelange Trennung von den drei wichtigsten Menschen ihres Lebens und die Ungewissheit, wie es ihnen geht, ist für Stella eine schwere persönliche Prüfung.

Nach dem Krieg liegt Hamburg in Schutt und Asche. Viele Menschen sind traumatisiert. Es folgt der Einzug der britischen Besatzer, die Neuregelung des gesellschaftlichen Lebens und die Hoffnung auf einen neuen Anfang.

Der Leser wird in das Leben der Familie Wolkenrath mitgenommen. Der Roman erzählt von den Sorgen und Nöten der Menschen in der Kippingstraße, von den Entbehrungen, von schlimmen Bombennächten während der Operation Gomorrha, der Angst, den morgigen Tag nicht mehr zu erleben, keine Wohnung mehr zu haben, aber auch von Hoffnung und Liebe und dem Vertrauen den Krieg zu Überleben. Jeder der Wolkenraths meistert die Zeit auf seine Weise. Der Leser erlebt emotionale Höhen und Tiefen der Protagonisten. Über den Großteil des Buches hinweg nimmt die  Erzählung einen gefangen. Hervorzuheben sind die vielfältigen historischen Details, welche die Autorin geschickt in die Geschichte verwebt.

Allerdings treten diese detaillierten, historischen Begebenheiten ab dem Ende des Krieges zu stark in den Vordergrund. Beispielsweise ist die ausführliche Beschreibung der Entnazifizierung der Hamburger Ärzteschaft meiner Meinung nach in dieser Form für einen Roman zu umfangreich. Es sollte bekannt sein, dass viele Nazis wieder auf ihre Posten zurückgekehrt sind. Auch wenn es gerade bei Ärzten, welche Euthanasie befürworteten, heute noch empörend ist, hätte es dennoch gereicht diese Tatsache zu erwähnen, jedoch nicht wiederholt und in vielen Einzelheiten. Leider rücken die Figuren und folglich auch die ganze Erzählung dadurch Zusehens in die zweite Reihe. Die letzten Kapitel behandeln die Jahre nach dem Krieg bis 1950. Doch diese Zeitspanne wird zügig abgehandelt, so dass für mich viele Handlungen nicht nachvollziehbar bzw. unverständlich sind. Bedauerlicherweise verlieren dabei auch die Figuren an Tiefe.

Die vorherigen Teile der Reihe sind ebenfalls politisch und historisch sehr ausgearbeitet, dennoch fügen sich die Informationen unauffälliger in die Geschichte hinein als in dieser Erzählung. Dem Ende des Romans nach zu urteilen wird die Geschichte der Wolkenraths weitergehen. Ich freue mich darauf!