Rezension

Eine Zeitlose Sommer-Liebes-Geschichte...

Schloss Gripsholm - Kurt Tucholsky

Schloss Gripsholm
von Kurt Tucholsky

Bewertet mit 5 Sternen

"Schloss Gripsholm" ist eine der hinreißendsten Sommergeschichten, die die deutsche Literatur zu bieten hat. Dieses innige, unnachahmlich elegante und amüsante Buch haben sich Liebende seit seinem Erscheinen 1931 immer wieder geschenkt, weil sie in ihm ihre eigene Verliebtheit mit all ihren Torheiten und Verzauberungen erkannten. In einer erstklassigen Lesung belebt Uwe Friedrichsen die Figuren mit seiner markanten Stimme. Und gelegentlich schnackt er auch ein bisschen "plattdütsch". So zeitlos wie die Romanvorlage ist auch diese Umsetzung als Hörbuch.

Die Erzählung beginnt mit einem Briefwechsel des Autors mit seinem Verleger Ernst Rowohlt, in dem dieser Tucholsky bittet, wieder einmal etwas Leichtes zu schreiben, am liebsten eine Liebesgeschichte. Der Autor ziert sich etwas, feilscht um ein höheres Honorar, willigt jedoch schließlich ein.

"Kein Wunder, dass Sie auf Samt saufen, während unsereiner auf harten Bänken dünnes Bier schluckt."

Schließlich fährt der Ich-Erzähler mit seiner Geliebten in den Urlaub -  Sommerwochen in Schweden. Kurt (alias Peter, alias 'Daddy') und Lydia (seine 'Prinzessin') quartieren sich auf Schloss Gripsholm ein und genießen die Tage - die Sonne, die Natur, den Müßiggang, die Zweisamkeit. In ihrer Sommerfrische erhalten sie nacheinander Besuch von Kurts altem Kameraden und Freund Karlchen sowie von Lydias bester Freundin Billie. Die Personen sind sich allesamt sehr zugetan, es knistert wechselseitig zwischen ihnen, und schließlich erleben sie in sehr aufgeräumter Stimmung mit Billie eine Nacht zu dritt - wohl eine biografische Episode, die zu Tucholskys Ruf als Erotomane nicht unwesentlich beitrug...

"Wir lagen auf der Wiese und baumelten mit der Seele."

Doch die Leichtigkeit und Unbeschwertheit der Episodenerzählung kontrastiert mit düsteren Szenen. Auf einem ihrer Spaziergänge begegnen die beiden Liebenden einer Schar Kinder, an deren Ende ein kleines trauriges Mädchen geht. Einige Tage später werden sie Zeuge, wie gerade dieses Mädchen aus der Tür eines Hauses stürmt - ein Kinderheim, wie sich herausstellt, und das Mädchen auf der Flucht vor der tyrannischen und sadistischen Heimleiterin. Peter und Lydia beschließen, dass man hier handeln müsse und setzen alle Hebel in Bewegung, um dem Mädchen zu helfen. Ein Hauch von Melancholie und Vergänglichkeit schleicht sich in die sonst so vergnüglich, frivol und verspielt daherkommende Sommergeschichte - beispielsweise auch dann, wenn der Ich-Erzähler in Gedanken an den Alltag in Deutschland verfällt.

"Die Welt hat eine abendländische Uniform mit amerikanischen Aufschlägen angezogen. Man kann sie nicht mehr besichtigen, die Welt. Man muss mit ihr leben. Oder gegen sie."

Überhaupt lässt Tucholsky den Leser sehr intensiv an den Gedankengängen und Gefühlen des Ich-Erzählers teilhaben. Die Erzählung dominiert weniger durch Aktionen denn durch inneres Erleben - und das erfordert ein sehr genaues Zuhören, damit hier keine Anspielungen und feine Nuancen verloren gehen. Tucholsky verwebt hier witzige und geistreiche Berliner Dialoge mit plattdeutschen Einsprengseln. Dabei zeigt er sein literarisches Können durch stilistisch ausgefeilte feine Formulierungen scharfer und punktgenauer Beobachtungen - ein gehobenes Stück Literatur.

Auch wenn die laufend wechselnde Namensgebung der beiden Hauptpersonen vor allem zu Beginn etwas verwirrend war, habe ich die ungekürzte Lesung (4h 48min) sehr genossen. Uwe Friedrichsen ist eine wundervolle Wahl für den Sprecher, denn das Stück wird durch seine durchdachten Betonungen lebendig, die Stimmungen - ob nun frivol und verspielt oder aber nachdenklich und melancholisch - werden hervorragend transportiert. Gerade aber auch die plattdeutschen Einschübe gelingen Friedrichsen mühelos, was das Geschehen noch authentischer wirken lässt.

Eines der wenigen Hörbücher, die ich sicher nicht nur einmal hören werde. Unbedingt empfehlenswert.

© Parden

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'Schloss Gripsholm' ist das wohl bekannteste Werk Tucholskys - und gleichzeitig das letzte von ihm veröffentlichte. Der Autor verfasste den Roman zu einer Zeit, als er unter den Verschleißerscheinungen seines unermüdlichen politischen Journalismus zu leiden begann. Die Offenheit, Weltklugheit und Großherzigkeit der Hauptfiguren wirken wie ein Gegenentwurf zum kleinkarierten und reaktionären Wesen, das Tucholsky immer wieder beklagte. Das Buch erschien erstmals im Jahr 1931. Am 23. August 1933 stand Tucholskys Name auf der ersten Ausbürgerungsliste der Nationalsozialisten, und sein Vermögen in Deutschland wurde beschlagnahmt. Es gab für ihn keine Publikationsmögichkeiten mehr. Im Dezember 1935 starb der gerade einmal 45jährige Kurt Tucholsky nach längerer Krankheit und in tiefer Resignation an einer Überdosis Schlaftabletten.