Rezension

Eine Zugfahrt in die Vergangenheit

6 Uhr 41 - Jean-Philippe Blondel

6 Uhr 41
von Jean-Philippe Blondel

Bewertet mit 4 Sternen

Manchmal gibt es im Leben diese Momente, die einen sofort zurück in die Vergangenheit katapultieren. Momente, die mit einem Schlag Erlebnisse, die man eigentlich vergessen wollte, wieder heraufbeschwören. Solch einen Moment erlebt Cécile Duffaut im 6-Uhr-41-Zug nach Paris. Denn auf den Platz neben ihr, setzt sich ein Mann, den sie sofort erkennt: Philippe Leduc. Auch Philippe hat Cécile gleich erkannt. Vor 27 Jahren waren beide nämlich ein Paar, doch die Beziehung endete unschön. Nun sitzen sie nebeneinander, sind geschockt und unfähig, den anderen anzusprechen. Jeder für sich erinnert sich an diese Zeit, die Jahrzehnte zurückliegt und doch so nah ist, als wäre sie erst gestern gewesen. Der Roman ist im Grunde ein einziger innerer Monolog. Wobei der Leser immer abwechselnd einmal in Céciles und einmal in Philippes Gedanken eintaucht. Beide lassen ihr Leben Revue passieren und nach und nach wird auch die gemeinsame Vergangenheit von Philippe und Cécile aufgedröselt – bis zu dem Tag, an dem die Liebschaft der beiden ein jähes Ende fand. Blondel schreibt flüssig, schlicht und treffend. Er zeichnet nicht nur das Drama einer ungleichen Liebe, sondern greift auch die Probleme und Sehnsüchte einer Generation auf, die zwischen Familie und Arbeit feststeckt und sich immer wieder fragt, was man hätte werden können, wäre das Leben anders gelaufen. Die Geschichte ist aber nicht nur sehr feinsinnig und hintergründig, sondern hat auch ihre humorvollen Momente. So ist es einfach auch sehr witzig zu lesen, wie Cécile und Philippe nebeneinander sitzen, aber versuchen, sich gegenseitig zu ignorieren und sich dabei immer tiefer in diese unangenehme Situation hineinmanövrieren. Ein sehr lesenswertes Büchlein – tiefgründig, humorig und unterhaltsam.