Rezension

Eines der besten Romane von Stephen King

Doctor Sleep - Stephen King

Doctor Sleep
von Stephen King

Bewertet mit 4.5 Sternen

Vorteile: dicht & fesselnd erzählt, Pageturner, gute Charakterzeichnungen, einfach geschrieben; Nachteil: fehlende Emotionen gegenüber den Bösen

Schon seit Jugendlicher habe ich immer wieder begeistert Stephen King-Romane gelesen und das einzige, was mich stets gestört hat, waren die Enden. Zuvor wurde ich gut unterhalten, nur vom Ende war ich immer enttäuscht. Trotzdem bin ich King-Leser geblieben, weil er immer wieder faszinierende Themen hat und fantastische Geschichten erzählt. Ich hatte das große Glück und war hier bei der Leserunde dabei.

STEPHEN KING
Stephen King wurde am 21. September 1947 in Portland, Maine geboren. Mit seinen über 400 Millionen verkauften und in 40 Sprachen übersetzten Büchern gilt er als einer der meistgelesenen und kommerziell erfolgreichsten Autoren der Welt. Er veröffentlichte auch unter dem Pseudonym Richard Bachman einige Romane. Viele Bücher wurden verfilmt. Schaut Euch einfach auf seiner Webseite um.

THE SHINING
Wer das Buch nicht kennt, hat schon mal den Film gesehen oder zumindest schon mal davon gehört, denn Shining gilt als Horror-Klassiker sowohl in der Literatur als auch im Kino.
Im Groben geht es darum, dass Jack Torrance die Stelle des Hausmeisters im abgelegenen Overlook-Hotel übernimmt und mit seiner Frau Wendy und dem Sohn Danny am letzten Tag der Saison dort eintrifft. Jack ist Alkoholiker, hat seinem Sohn bereits den Arm gebrochen und Wendy überlegt eine Scheidung, hofft jedoch, dass dieser Job sie wieder zusammenschweißen kann. Der 5jährige Danny besitzt das „Shining“ und beginnt bald Geister und andere seltsamen Dinge zu sehen, während sein Vater immer verrückter wird. Eine vollständige Inhaltsangabe (inkl. Spoiler) findet ihr bei Wikipedia.

Doctor Sleep beschäftigt sich nun mit der Frage, was eigentlich aus dem kleinen Danny geworden ist.

DAS BUCH
Schriftgröße: etwa 4mm
Seitenanzahl: 704 inkl. Nachbemerkung
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt
Verlag: Heyne Verlag

Klappentext: "Eine mörderische Sekte hat es auf Kinder abgesehen, die das Shining haben. Stephen King kehrt zu einem seiner berühmtesten Romane zurück: Der kleine Danny, der im Hotel Overlook so unter seinem besessenen Vater hat leiden müssen, ist nun erwachsen. Aber die Vergangenheit lässt ihn nicht los. Auch das Mädchen Abra hat das Shining. Kann er sie retten?"

Das deutsche Cover zeigt ein Gefäß, aus dem gerippenförmiger Rauch rausquillt. Im Verlauf der Geschichte erfahren wir, was es mit dem Gefäß auf sich hat. Nur so viel – es hat mit der „Sekte“ zu tun.
Ich muss zugeben, dass mich das Cover nicht allzu sehr anspricht. Der Schriftzug ist riesig und mit dem Motiv kann man ohne die Geschichte nichts anfangen. Der Rauch ist zwar geheimnisvoll, aber irgendwie zu wenig - auch wenn das Motiv sehr schön geworden ist und nach genauerer Betrachtung noch viel mehr preisgibt. Nur vom Cover her (jetzt mal weggelassen, dass es ein King-Roman ist) würde ich das Buch jedoch nicht kaufen, da müsste mich die Inhaltsangabe schon umhauen, wobei die Frage noch besteht, ob ich es dann überhaupt zur Hand nehmen würde...

Aber nun zum Roman selber...
Ich habe mir anfangs etwas Sorgen gemacht, ob ich mich an die Details von Shining noch erinnern werde. Ich hatte vorher keine Zeit, das Buch nochmal zu lesen oder den Film oder Miniserie nochmal zu schauen. Und alles ist schon soooo lange her! Aber diese Sorge war tatsächlich unbegründet. Stephen King erzählt sehr geschickt und mit wenigen Worten, was passiert ist und wie die Akteure danach gelebt haben. Mit seinen Worten erinnere ich mich ganz schnell wieder an die Bilder in meinen Kopf, an die Verfilmungen und Geschehnisse im Buch. Wer das Buch oder Film nicht kennt (sehr unwahrscheinlich, ich weiß - aber es gibt sie doch ;)), hat vielleicht einen kleinen Nachteil, aber man merkt schnell, dass es nicht um die Vergangenheit geht, sondern um das Hier und Jetzt. Mit dem Shining müssen sich Unwissende vielleicht noch anfreunden, aber für Wissende lesen sich die ersten Seiten mit einem bekannten Gefühl, bei dem man sich nie verloren fühlt.
Ich fand auf jeden Fall alles recht interessant und spannend - das Buch  war stets ein echter Pageturner. Man merkt, dass King sein Fach versteht und er auch immer noch im Shining drin ist und seine Figuren kennt. Auch wenn alles gut ist, so richtig erfasst hat mich das Buch aber erst, als Dan(ny) als Charakter in der Gegenwart eingeführt wurde. Ich leide mit ihm, denn er ist tief gefallen. Sein Shining und das Erlebte in seinen jungen Jahren haben ihn kaputt gemacht - und das natürlich durchaus nachvollziehbar. Er wollte sicherlich nie so werden wie sein Vater, aber anders kann er seine Psyche wahrscheinlich gar nicht betäuben. Die Sekte, die sich der "Wahre Knoten" nennt, ist für mich nicht greifbar. Das lag wahrscheinlich daran, weil es nichts Vertrautes hat und dann noch irgendwie abgedreht ist. Abra, ein junges Mädel, das ein sehr starkes Shining besitzt, ist viel besser beschrieben und man fühlt gleich mit ihr. Behutsam werden die Geschichten ineinander verwoben und ganz langsam zusammengeschubst. Bald, so spürt man, werden sie aufeinander treffen und eskalieren.
Die Geschichte wird trotz Abwicklung vieler Jahre flüssig erzählt. Die Charaktere sind gut gezeichnet, das Geschehene dicht und emotional. Stephen King gibt zudem einen guten Einblick in den Alkoholismus, dessen Handlungsstrang sicher sehr viel biographisches enthält. Ein mutiges Buch!
Sonst bin ich vom Ende eines King-Romans eigentlich immer enttäuscht, aber hier kann er mich überzeugen und insgesamt empfinde ich Doctor Sleep als eines seiner besten Werke - wenn nicht sogar das Beste!

DIE SPRACHE
Die letzten King-Romane habe ich allesamt auf Englisch gelesen und dewegen kenne ich seine Romane und seinen Schreibstil als zermürbend. King besitzt halt einen großen Wortschatz.
Doch hier ist der Schreibstil so leicht, so fesselnd, als wäre dieses Buch nur da, um von mir gelesen zu werden – und das überrascht mich. Manchmal erkenne ich King hier gar nicht wieder und doch blitzt er im Satzbau und natürlich im Geschehen durch. Und was auch seins ist: Dieses gaaaanz langsame Steigern des Horrors, des Grusels und der Geschichte. Es ist nicht schreckhaft, nicht wirklich blutig, sondern sehr subtil und doch will man wissen, wie es weitergeht und trotzdem fühlt man sich leicht gegruselt. Wirklich gekonnt geschrieben.
Es gibt viele Namen und Hinweise auf Englisch, wer also überhaupt kein Englisch kann, könnte sich u.U. verloren vorkommen, vor allem entgehen demjenigen einige Andeutungen.

Fazit: Für mich eines der besten Stephen King-Romane überhaupt! Ich hatte mehr Horror erwartet, mehr Schockeffekte, aber dass es auch so ein wahrer Pageturner ist, zeugt von seiner Schreib- und Erzählkraft.
Von mir gibt es viereinhalb Sterne, der halbe Stern Abzug, weil gegenüber dem "Wahren Knoten" mir einfach die Emotionen fehlen und ich mehr an der Abra-/Dan-Geschichte interessiert war, weswegen die "Knoten"-Einschübe fast schon störten.