Rezension

Eines der Bücher, die man gelesen haben sollte

Ich nannte ihn Krawatte - Milena Michiko Flasar

Ich nannte ihn Krawatte
von Milena Michiko Flasar

Bewertet mit 5 Sternen

Fast schicksalhaft treffen in einem Park auf einer Bank irgendwo in Japan ein junger und ein älterer Mann aufeinander. Zwei Außenseiter, gescheiterte Existenzen, die von den gesellschaftlichen Ansprüchen nach Anpassung überfordert sind. Beide scheinen auf den ersten Blick vollkommen verschieden: Der Eine ein Hikikomori (Menschen, die sich freiwillig einschließen, um sich Gesellschaft zu entziehen), der Andere ein arbeitsloser Salaryman (japanischer Geschäftsmann). Doch etwas verbindet die beiden auf schicksalhafte Weise, denn beide sind seit Jahren tot. Aus den anfänglich sehr zaghaften Kontakten, entstehen intensive Monologe und schließlich eine Art tiefe Freundschaft, die beiden den Weg zurück ins Leben ermöglicht.

Ich nannte ihn Krawatte. Er hat mich gelehrt, aus fühlenden Augen zu schauen.

Die Handlung setzt sich lediglich aus diesen zahlreichen Monologen zusammen. Mehr und mehr entspinnen sich für den Leser die Beweggründe für den gesellschaftlichen Rückzug der beiden Männer und deren Folgen für sich selbst und die Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung. Es ist ein lebensbejahendes Buch, das auf poetische und philosophische Weise lehrt, die Menschen um uns herum mit anderen, offeneren Augen zu betrachten, statt aneinander vorbei zu leben.

Denkst du, man braucht uns? Ich meine Leute wie uns, die vom Weg abgewichen, sich entzogen haben. Die nichts vorzuweisen, nichts gelernt haben außer diesem: Dass es sich lohnt, am Leben zu sein. Immerhin sind wir gezeichnet. Wir haben einen Makel. Was, wenn man uns das nicht verzeiht? Was, wenn die Gesellschaft…

…uns nicht zurück haben möchte? Ich vermeide es, im Großen zu denken. Die Gesellschaft. Zu groß. Was ist das? Ich sehe es nicht. Was ich sehe, sind Einzelne. Und da ist jeder gezeichnet, hat jeder einen Makel, braucht jeder jeden.