Rezension

Einfallsreich, toll geschrieben, schöne Geschichte – perfekt!

Der Allesforscher - Heinrich Steinfest

Der Allesforscher
von Heinrich Steinfest

Bewertet mit 5 Sternen

Sixten Braun, Sohn eines aus Schweden stammenden Vaters und einer deutschen Mutter, von Beruf Manager der Firma Weyland Europe, wird in Tainan, einer Stadt in Taiwan, in einen Unfall der besonderen Art verwickelt: Ein Schwertransporter mit einem Pottwal – »ein gewaltiger Brocken von Fisch, auch wenn jedes Kind dir sagt, Wale seien keine Fische. Aber mein Gott, genau so schauen sie doch aus« (S. 11 f.) – fährt an ihm vorbei, der Wal explodiert aufgrund einer Gärung im Inneren, und ein Teil des Tiers, vielleicht eine Niere, fliegt Sixten an den Kopf und sorgt dafür, dass er nach einiger Zeit im Koma im Krankenhaus wieder aufwacht. Mit Lana Senft, der Ärztin, die ihn behandelt, lernt er seine große Liebe kennen, doch aus verschiedenen Gründen wird es keine gemeinsame Zukunft geben – unter anderem, weil Sixtens Flugzeug auf dem Weg nach Japan abstürzt und er, als einer der wenigen Überlebenden, danach nicht nach Taiwan zurückkehren kann, sondern nach Deutschland gebracht wird.

In Deutschland heiratet er seine Verlobte, arbeitet in der Kölner Firma seines Schwiegervaters, bis die Ehe scheitert, er Job und Vermögen verliert, nach Stuttgart zieht und Bademeister wird. Dort wird sein Leben völlig umgekrempelt – er wird zum Vater eines Kindes, er lernt eine Frau kennen, die er liebt, einen Messerwerfer und dessen Frau, die ein weiblicher Glenn Gould ist; er gerät in einer Hütte in den Alpen in ein Matriarchat, wird in einem Traum durchs Werfen eines Messers von einer Person gerettet, die den Umgang mit dem Messer von besagtem Messerwerfer in dessen Träumen gelernt hat… Man ahnt schon, dass der Roman einiges an skurrilen Einfällen für Leserin und Leser bereithält.

Sprachlich ist der Roman sehr anspruchsvoll – aber nicht in dem Sinne, dass er »intellektuell« oder schwer zu lesen wäre, sondern so, dass gekonnt eine Welt von Bildern und Beschreibungen, eine Geschichte entwickelt wird und gegenüber dem Leser ersteht, die ihn berührt und in die er hineingezogen wird. In diesem Buch geht es um die Geschichte und Handlung, aber ebenso um deren sprachliche Vermittlung. Ein – besonders schöner – Teil der Geschichte ist, wie sich das Verhältnis Sixtens zu seinem kleinen Sohn entwickelt, der ihm aus Taiwan zugeführt wird, der ihn erstaunt und den er schließlich als den »Allesforscher« erkennt, der in seiner Wahrnehmung das Alles erforscht.

Zusätzlich zu all dem gibt es immer wieder Szenen, die Leserin und Leser zum Lachen bringen, etwa wenn Sixten von seinen Großeltern sagt: »Meine Großeltern waren Leute von der Sorte, die immer nur Hilfe zur Selbsthilfe betrieben. Die also einem Ertrinkenden weder die Hand reichten noch zu ihm ins Wasser sprangen, sondern dem armen Kerl im raschen Vorbeigehen zuriefen: ›Schwimmen Sie!‹« (S. 140) – Oder Sixtens Gedanken, bevor er von der Niere des explodierenden Pottwals getroffen wird: »Ich konnte mir nicht mal sicher sein, ob der Fisch auf dem Laster tot oder halbtot war oder eher betäubt. Und auf dem Weg wohin? Ins Museum? Ins Aquarium? Nach Seaworld? – Daß man dort auch schon mit Pottwalen spielen konnte, wäre mir allerdings neu gewesen. Konnten Pottwale, so umständlich groß, wie sie waren, durch Reifen springen? Pirouetten drehen? Schnattern wie Delphine? Ihre schweren Köpfe hochhalten und um kleine Leckerbissen betteln? Autisten heilen?« (S. 12) – Oder ein Bonmot, wenn Sixten, aufgrund von Gewichtsproblemen der Schokolade entwöhnt, dann aber später öfter mal Wein trinkt und betont, dass er auf keinen Fall ein Trinker werden wolle: »Vor allem wegen der Figur. Immerhin besaß auch der Alkohol seine Schokoladenseite.« (S. 237)

Viele Facetten der Geschichte müssen hier, auch wenn ich gerne noch mehr erzählen würde, ausgespart bleiben – auch weil ich dem Buch möglichst viele Leserinnen und Leser wünsche, die all dies entdecken mögen.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 29. Juli 2014 um 07:51

Wo du solche skurrilen Geschichten nur immer auftreibst?!

marsupij kommentierte am 30. Juli 2014 um 11:36

Ich glaube, das Buch muss ich auch lesen. Klingt herrlich skurril. Danke für deine Rezension.

Steve Kaminski kommentierte am 30. Juli 2014 um 11:49

Gerne! Und es freut mich, wenn ich ein Buch, das ich toll finde, ein wenig verbreiten kann! (Ich habe gerade noch vermieden, "verbreitern" zu schreiben :-)