Rezension

Einzigartig, spektakulär und umwerfend - ein wirklich starker Reihenauftakt!

Palace of Glass - Die Wächterin
von C. E. Bernard

Bewertet mit 4 Sternen

Fantasy (vor allem Jugendfantasy) ist für mich immer irgendwie schwierig, weil man einfach so vieles schon gelesen hat und es (gefühlt) kaum noch neue und wirklich innovative Ideen gibt. Eine solche Idee aber macht den besonderen Zauber von C. E. Bernards Romandebüt und Trilogie-Auftakt Palace of Glass aus. Beziehungsweise mehrere Ideen, denn es gibt tatsächlich einiges, was ich an dieser Geschichte wirklich spannend fand. In allererster Linie ist das das Setting, das mich anfangs etwas irritiert hat. Denn die Geschichte spielt in einem London, in dem strenge Gesetzte die Menschen zu einem Leben in völliger Sittsamkeit und ja, Zurückgezogenheit verdammen. Da Berührungen verboten sind, kleiden sich die Menschen in lange, hochgeschlossene Roben, tragen von morgens bis abends Handschuhe und halten die Arme gut sichtbar auf dem Rücken. All diese Konventionen und auch die Darstellung des Königshauses, die Ächtung der sogenannten Magdalenen und die teilweise mittelalterlichen Praktiken (wie zum Beispiel Folter) zeichnen das Bild eines viktorianischen, wenn nicht sogar elisabethanischen Englands. Und jetzt kommt das Besondere: Die Geschichte spielt nicht in der Vergangenheit und auch nicht in einer Parallelwelt, sondern in der Zukunft.

Das war für mich zugegebenermaßen ein kleiner Schock, denn als Rea auf den ersten Seiten ein Handy aus ihrem langen Gewand zieht, bin ich tatsächlich fast vom Glauben abgefallen. Der technische Fortschritt, den Bernard andeutet, steht einfach im krassen Kontrast zu der teilweise sehr rückständigen und von fragwürdigen Konventionen geprägten Gesellschaft. Ich brauchte eine Weile, um mich mit dieser besonderen Welt anzufreunden, aber es ist eben auch eine Welt, die eine düstere Faszination auf den Leser ausübt und die unheimlich detailreich ausgeschmückt ist. Aus der Gestaltung dieses historisch anmutenden Londons liest man deutlich Bernards Faible für Shakespeare heraus - gekonnt verbindet sie historische Details mit fantastischen und futuristischen Elementen und erschafft so etwas ganz Neues und definitiv Einzigartiges.

Bernards London der Zukunft trägt außerdem dystopische Züge, die sich vor allem in der Ausgrenzung der Magdalenen und der totalitären Monarchie zeigen. Sie schafft eine bedrohliche Grundstimmung und auf diese Weise ein außergewöhnlich atmosphärisches Leseerlebnis. Mit Rea, einer jungen und äußerst cleveren Magdalena, liefert sie darüber hinaus eine starke Protagonistin mit einem vielschichtigen Charakter. Da die Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählt wird und der Fokus dabei überwiegend auf Reas Gefühls- und Gedankenwelt liegt, baut man schnell eine Bindung zu ihr auf und begreift die gefährliche Welt gleichzeitig aus der Sicht einer Untergetauchten. Ein spannender Blickwinkel, der die Geschichte umso faszinierender und lebendiger macht.

Eine weitere originelle Idee versteckt sich hinter dem Konzept der Magdalenas. Bei diesen handelt es sich um Menschen, die durch Berührung die Gedanken anderer Menschen "lesen" und diese manipulieren können. Diesen Vorgang durchlebt man beim Lesen einige Male und Bernard beschreibt ihn derart plastisch und fantastisch, dass man das Gefühl hat, dabei in eine Art Zwischenwelt gesogen zu werden. Grandios! Im ersten Band bietet Bernard außerdem bereits einen kleinen Einblick in die Kultur und die Organisation der Magdalenas und hier steckt wirklich viel Potenzial für die Nachfolgebände drinnen und ich bin gespannt, was wir im Verlauf der Reihe über die Magdalenas und ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten erfahren werden.

Der Roman ist also angefüllt mit zahlreichen faszinierenden, fantastischen und spannenden Elementen, die eine reichhaltige Basis für die Geschichte bilden. Die Handlung hat vor allem Reas zunehmend verzweifelten Versuch, ihre Fähigkeiten zu verbergen, ihr gefährliches Leben als Bodyguard des Kronprinzen im gläsernen Buckingham Palace und, der Klappentext deutet es bereits an, die sich anbahnende Liebesbeziehung zwischen Rea und Prinz Robin zum Gegenstand. Hier gibt es einige Überraschungen und gelungene Plot Twists, die Spannung aufkommen lassen, aber auch ein paar sehr stereotype Handlungselemente. Der ruppige, eingebildete Prinz etwa, hinter dessen Fassade sich ein sanftmütiger, liebenswerter Charakter verbirgt. Oder die Magdalena Rea, die sich eben ausgerechnet in ihren ärgsten Feind verliebt. Die Romanze zwischen den beiden hat mich einfach nicht so ganz vom Hocker gerissen - das hat dafür aber die phänomenal gestaltete Welt mit all ihren Tücken und Gefahren und dabei ihrer düster faszinierenden Schönheit geschafft. Und genau deswegen bin ich super gespannt auf den zweiten Band der Reihe.

Mein Fazit:
Ein Fantasy-Debüt, das mich überrascht, fasziniert und in seinen Bann gezogen hat: Palace of Glass - Die Wächterin ist ein vielversprechender und spannender Reihenauftakt mit einem spektakulären Worldbuilding, einer starken Heldin und jeder Menge Überraschungsmomenten. Ich war zwar nicht ganz so empfänglich für die doch sehr typische Liebesgeschichte, alles andere aber hat mich absolut überzeugt. Sicherlich eine der großen Neuerscheinungen im Frühjahr. Freut euch drauf!