Rezension

Emotional und unerwartet tiefgründig

Kleine Stadt der großen Träume
von Fredrik Backman

Bewertet mit 5 Sternen

Dies war mein erstes Buch des Autors. Aber nach dem, was ich zuvor über seine Bücher gehört hatte, und nach dem, was der Klappentext suggeriert, habe ich eine heitere, aufbauende Geschichte erwartet, in der kleine Außenseiter zu ganz großen Helden werden. Ein Wohlfühlbuch, das man mit einem Lächeln zuklappt und vielleicht seiner Mutter zum nächsten Geburtstag schenkt.

Bekommen habe ich stattdessen eine dramatische, aufwühlende Geschichte, in der sich in einer kleinen Stadt ganz große Abgründe auftun. Die Menschen von Björnstadt projizieren all ihre Hoffnungen und Leidenschaft auf die Junioren-Eishockeymannschaft, und das grenzt nicht nur an Fanatismus, das hat schon lange das Land des gesunden Menschenverstandes verlassen.

Der Sport bewirkt viel Gutes im Leben der Kinder, denn er gibt ihnen Ziele, ein Gefühl der Gemeinschaft und Zugehörigkeit, Träume und Zukunftsperspektiven. Aber der Leser lernt auch die Schattenseiten kennen:

Eltern nehmen in Kauf, dass ihre Kinder beim Training verletzt und gedemütigt werden. Sponsoren sehen diese sogar nur als Produkte, die ihnen Geld bringen sollen. Und den Jugendlichen selber wird suggeriert, dass das Eishockey sie zu Helden macht, denen eine Sonderbehandlung zusteht und die sich alles erlauben können. Jedenfalls den Jungen, denn von den Mädchen wird zwar erwartet, dass sie Eishockey lieben, aber bitte nur in der Rolle des anhimmelnden Fans – das jedoch nicht zu sehr, sonst sind sie [ hier denke man sich bitte ein negativ besetztes Wort für ein Mädchen, das angeblich "leicht zu haben" ist ].

Backman zeichnet mit subtilen und einfühlsamen Worten das Psychogramm einer Stadt, in der Eishockey nicht so wichtig ist – 'es ist einfach nur alles'. Da kreischen Mütter beim Spiel "Bist du schwul, oder was?!" Da führen Väter genau Buch über die Erfolge des Sohnes, können sich aber nicht überwinden, ihm mal anerkennend die Hand auf die Schulter zu legen. Und da passieren Dinge, wo ich das Buch erst einmal zur Seite legen musste, bis Blutdruck und Herzschlag wieder auf ein vertretbares Level gesunken waren.

Hier wird so unglaublich viel angesprochen, Positives und Negatives. 

Nicht nur der Fanatismus, die absurd übersteigerte Leistungskultur, die Mauer des Schweigens, wenn etwas diese Leistungskultur bedroht... Ganz nebenbei geht es um Vorurteile und soziale Ausgrenzung, um moralische Prinzipien und deren Korruption – aber auch um Loyalität und Freundschaft und die Tatsache, dass beides seine Grenzen hat und haben muss.

Obwohl das Buch nicht das war, was ich erwartet hatte: es ist ein großartiges Buch mit einer bewegenden Geschichte, und es ist wirklich gekonnt und einzigartig geschrieben. Die Geschehnisse sind mal herzerwärmend, mal schockierend, mal tragisch, mal lustig, aber was auch immer sie vermitteln: man muss mitfühlen, mitfiebern, mitleiden, mitlachen und kann sich nicht einfach berieseln lassen.

Es ist ein Buch voller schwerer, ernsthafter Themen, aber der Schreibstil hat trotzdem immer eine gewisse Leichtigkeit, viel Wortwitz und einen feinen Humor. Der Autor hat ein wunderbares Gespür für das Zwischenmenschliche, und so wirken all seine Charaktere wie direkt aus dem Leben gegriffen. Man kann und muss nicht jeden davon mögen – aber wenigstens verstehen. Fredrik Backman ist kein Autor, der einem Pauschalurteile ermöglicht, und das ist auch gut so.

Zusammenfassung und Fazit:

Das Buch war nicht einmal annähernd das, was ich erwartet hatte: statt einer lustigen Geschichte über jugendliche Außenseiter, die ihre Kleinstadt ganz groß rausbringen, bekam ich eine Geschichte, die die volle Bandbreite der Emotionen abdeckt, inklusive der schlechten. Manchmal wollte ich das Buch gegen die Wand pfeffern oder aus dem Fenster schmeißen, bin aber froh, es nicht getan zu haben.

Hier geht es nicht nur um Eishockey, aber Eishockey ist das, wofür diese kleine Stadt lebt und kämpft und betrügt und verrät... Die Menschen zeigen sich von ihrer besten und ihrer schlechtesten Seite, und schließlich passiert etwas, das sowohl das Gute als auch das Schlechte auf die Spitze treibt.

Es gibt wunderbare Szenen, wo einem das Herz aufgeht, aber es werden ebenso ernste, traurige, schwierige Dinge angesprochen, die der Autor mit ruhiger Sorgfalt und tiefer Einsicht in das Gefühlsleben seiner Charaktere vor dem Leser ausbreitet. Dennoch liest sich das Buch unterhaltsam, oft sogar witzig – aber manchmal eben auch das genaue Gegenteil. Lohnen tut es sich aber in meinen Augen durchweg.