Rezension

Endlich mal wieder ein richtig guter Thriller!

Don't You Cry - Falsche Tränen - Mary Kubica

Don't You Cry - Falsche Tränen
von Mary Kubica

Als Quinn nach einer durchzechten Nacht mit einem Mann, den sie erst wenige Stunden kennt, in ihrem Bett aufwacht, ist ihre Mitbewohnerin Esther nicht da. Nur ihr Wecker schrillt um 5 Uhr morgens los und weckt beinahe das ganze Haus auf. Quinn schaltet den Wecker aus, schmeißt den fremden Mann aus der Wohnung und legt sich wieder hin. Doch Esther kommt nicht nach Hause. Weder im Laufe des Sonntags, noch an den nächsten Tagen. Was ist passiert?

Während Quinn beginnt, in den Unterlagen ihrer Mitbewohnerin herumzuschnüffel, begegnet der 18-jährige Alex einem wunderschönen Mädchen, das er noch nie zuvor in dem Café, in dem er arbeitet, gesehen hat. Er nennt sie insgeheim Pearl, wegen dem Perlenarmband an ihrem Handgelenk. Sie fasziniert ihn so sehr, dass er beginnt, sie zu stalken. Wer ist dieses geheimnisvolle Mädchen mit dem auffällig bunten Haar, fragt er sich. Und als Leser denkt man: "Das ist doch Esther, oder? Oder?"

Der Erzählstil der beiden Ich-Erzähler ist erfrischend anders, irgendwie natürlicher und authentischer als in den Thrillern, die ich zuletzt gelesen habe. Lebendiger. Auch, wenn sich die beiden Ich-Erzähler innerhalb des Buches leider nicht in ihrem Stil von einander unterscheiden. Ich hätte mir gewünscht, dass der 18-jährige Alex und Quinn in ihren Mitzwanzigern doch unterschiedliche Arten haben, zu denken und zu erzählen. Und mir ist ebenfalls aufgefallen, dass beide Erzählstimmen uns Leser wohl für etwas beschränkt oder zumindest doch sehr vergesslich halten, denn einige Informationen werden immer und immer und immer wieder wiederholt. Wozu? Mir reicht es, einmal gesagt zu bekommen, dass Ingird ihr Haus nicht mehr verlässt, weil sie unter Agoraphobie leidet. Das muss ich nicht jedes Mal, wenn die Figur in Erscheinung tritt, erneut erklärt bekommen. Oder warum Alex' Pearl diesen Spitznamen gegeben hat. Oder um was für Briefe es sich handelt, wenn Quinn von Briefen spricht, denn es gibt nur diese speziellen.

Abgesehen von den vielen Wiederholungen und der Tatsache, dass sich die Erzählstimmen sehr ähnlich sind, sind Quinn und Alex doch Figuren, die einem ans Herz wachsen. Vor allem Alex, der mit seinen 18 Jahren das Geld für sich und seinen Vater verdienen muss, da sein Vater ein hoffnungsloser Alkoholiker ist und keinen einzigen Cent verdient. Alex' Mutter ist schon vor Jahren abgehauen, als er noch ein Kleinkind war, sie hat es gehasst, eine Mutter zu sein. Alex' einzige Bezugsperson ist Ingrid, die sich nicht aus ihrer Wohnung heraustraut und jede Minute Gesellschaft zu schätzen weiß. Die für Alex kocht und mit ihm Gin Rommee spielt. Und irgendwie wird auch Pearl zu einer Bezugsperson für ihn. Bis sie anfängt, unheimlich zu werden.

Auch Quinn wird authentisch dargestellt. Sie hasst ihren Job als Anwaltsgehilfin, ist heimlich in ihren Kollegen Ben verliebt (der aber eine Freundin hat), ist furchtbar chaotisch und weiß noch nicht so recht, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Von Esther fühlt sie sich verraten, weil die eine neue Mitbewohnerin sucht, aber gleichzeitig macht sie sich Sorgen. Ist Esther freiwillig gegangen oder ist ihr etwas zugestoßen? Gibt es für alles eine logische Erklärung oder ist vielleicht ein Auftragskiller hinter ihr her? Ist Esther wirklich ihre beste Freundin oder hat sie es auf sie abgesehen? Zusammen mit Quinn werde auch ich immer unsicherer, wem sie vertrauen kann.

Und obwohl all die Handlungen dieses Buches - abgesehen von Esthers Verschwinden - nicht der Stoff eines Thrillers sind, sondern sich mehr wie ein Drama oder eine Liebesgeschichte anhören, ist da dieser unterschwellige Thrill. Diese Ahnung, das etwas Schreckliches passiert ist und vielleicht noch passieren wird. Der Verdacht, das Quinn Esther nie wirklich gekannt hat. Oder das Alex' Pearl doch nicht Esther ist. Und so verschlingt man Seite um Seite, ist gefesselt vom Leben von Quinn und Alex. Die Geschichte entwickelt einen regelrechten Sog, ohne dass man benennen kann, woher er kommt. Und am Ende zeigt sich, dass in einem guten Krimi eben doch alles eine Rolle spielt. Jede Kleinigkeit. Jede Geschichte, die erzählt wird. Auch jede Schauergeschichte. Und so fügt sich alles zusammen und lässt mich mitten in der Nacht mit klopfendem Herzen zurück. So, genau so, muss ein guter Psychothriller sein.

(c) Books and Biscuit