Rezension

Engelsgleich oder höllenschwarz

Engelsgleich
von Martin Krist

Bewertet mit 5 Sternen

Schon lange habe ich nicht mehr soviel Spannung zwischen zwei Buchdeckeln erlesen. Ich konnte diesen Roman kaum aus der Hand legen, obwohl er teils auch ein wenig verwirrend daherkommt, zumindest am Anfang.
Der Autor erzählt eigentlich vier verschiedene Geschichten, so scheint es dem Leser am Anfang, aber im Laufe von fast 600 Seiten bester Thrillerqualität verbinden sich diese miteinander und es gibt eine Menge Aha-Erlebnisse für den Leser. Manchesmal ist das dann Bestätigung der eigenen Vermutungen, es kann aber auch ganz anders und das genaue Gegenteil sein.
Ein Beispiel für letzteres ist Markus, den wir im Eingangskapitel kennenlernen. Er befindet sich in großer Gefahr, ist Feuer ausgesetzt und weiß nicht mehr, ob er schon tot oder noch lebendig ist. Später, als wir schon wissen, wer Markus ist, erleben wir diese Szene ein zweites Mal und können sie jetzt auch verstehen.
Eine weitere Hauptfigur ist Juli, die verzweifelt nach ihrer Pflegetochter Merle sucht. Sie mag den Ermittlungsbeamten nicht folgen, die das Verschwinden der 15jährigen als ein wiederholtes Ausreißen von zu Hause sehen wollen, zumal es keinerlei Anhaltspunkte für ein Verbrechen gibt. Juli räumt dieser Suche in ihrem Leben die allerhöchste Priorität ein und setzt dabei Familie, Beruf und ihren sozialen Status aufs Spiel. Sie ist geradezu besessen von ihrer Suche, kann nicht mehr damit aufhören und verliert jedes Gefühl für eine alltägliche Realität. In diesem Roman ist Juli als Einzige als Ich-Erzählerin angelegt, alle anderen Handlungsstränge setzen sich sprachlich davon ab und das auf eine sehr spannende Art und Weise.
Dann gibt es noch Anezka und Kevin, die unfreiwillig Zeuge eines Mordes werden. Sie können fliehen, Kevin allerdings ist schwer verletzt, aber schon bald sind ihnen die Verfolger auf der Spur.
Und der rote Faden der Geschichte oder das verbindende Element ist Kommissar Kalkbrenner, der gemeinsam mit der Kollegin Muth die Aufklärungsarbeit zu leisten hat. In einem stillgelegten Industriegebäude wurde eine junge Frau erschossen, im Zuge der Spurensicherung stößt die Polizei auf dem Gelände auf drei alte Sickergruben. Darin findet man zwar keine weiteren Hinweise auf den akuten Fall, dafür aber insgesamt 11 Kinderleichen, alle zwischen etwas 8 und wohl nicht mehr als 12 Jahre alt. Es sind Jungen wie Mädchen, fast alle weisen Folterspuren und teilweise Verstümmelungen auf.
Nur sehr langsam erschließen sich Zusammenhänge, nicht nur für den Leser. Auch Kalkbrenner und Muth haben so ihre Mühen, hier ein Muster und erste Verdächtige zu finden.
Es gibt noch wesentlich mehr wichtige Figuren und Nebenwege der Handlung, diese hier alle zu nennen, würde viel zu weit führen. Anfangs ist diese Fülle ein wenig verwirrend, man liest sich aber gut ein und sucht selbst auch nach dem Verbindungen zwischen den Personen und Handlungssträngen. Erst im letzten Drittel merkt man, dass nicht alles Erzählte zeitgleich passiert, sondern Teile der Geschichte Monate, teils sogar über ein Jahr zurückliegen.

Das Buch ist spannend von Anfang an, gewinnt aber am Ende noch einmal deutlich an Intensität und Spannung. Der Schreibstil ist sehr abwechslungsreich, der Autor arbeitet mit sehr schnellen Szenenwechseln, die immer dann eintreten, wenn die Spannung gerade wieder eine Spitze erfährt. Es geht später an exakt diesen Stellen weiter, aber immer liegen mal mehr, mal weniger Seiten dazwischen. Toll gemacht und absolut zu empfehlen.