Rezension

Erinnerungen an Ostpreußen

Letzte Fahrt nach Königsberg - Ulrich Trebbin

Letzte Fahrt nach Königsberg
von Ulrich Trebbin

Bewertet mit 4 Sternen

Ulrich Trebbin erzählt in seinem Romanerstling die Geschichte seiner Großmutter. Die Geschichte einer Kindheit und Jugend in Königsberg, die Geschichte ihrer ersten großen Liebe, die Geschichte ihrer Vertreibung und Flucht aus Ostpreußen im Zweiten Weltkrieg.
Ella ist fast dreizehn zu Beginn des Romans, Kind wohlhabender Eltern, der Vater Weinhändler, fünf Geschwister hat sie und geht in die Untertertia des Mädchengymnasiums. Eine recht unbeschwerte Kindheit bis zum frühen Tod des Vaters. Die Mutter, geschäftsuntüchtig, verliert das Vermögen, sie müssen aus der Villa ausziehen, Ella das Gymnasium abbrechen und auf die Höhere Handelsschule wechseln. Das ist der erste große Umbruch ihres Lebens, weit schwerere werden folgen.

Sehr einfühlsam und nachvollziehbar erzählt Ulrich Trebbin aus dem Leben seiner Großmutter. Es gelingt ihm ganz wunderbar, ein Fenster in das vergangene Ostpreußen zu öffnen, sich in den Backfisch hineinzuversetzen, Land und Leute zu beschreiben. Ich denke allerdings, dass dieser Roman eigentlich in die Sparte Jugendbuch gehört. Da gab es eine Zeit lang ganz hervorragende Bücher dieses Stils, etwa Willi Fährmanns Bienmann-Saga zum Beispiel. Das soll beileibe nicht als Abwertung gemeint sein, denn ein gut gemachtes Jugendbuch kann ein Schatz sein, ein Einstieg in die Welt des Lesens. Aber Jugendbücher zeichnen Geschehnisse häufig nicht ganz so deutlich, wie man das in einem Roman für Erwachsene erwarten kann. Und genauso ist es hier: es geht mehr um Ellas Befindlichkeiten als um den drohenden Krieg. Judenverfolgung, Nationalsozialismus, die Greueltaten der russischen Armee, das alles ist durchaus Thema und wird nicht ausgeklammert, aber hätte mehr Deutlichkeit und Tiefgang haben dürfen. Was ein jüdischer Großvater , so er denn bekannt geworden wäre, für Karriere und sogar Leben von Ellas erster Liebe Victor hätte bedeuten können, wird zwar angerissen, geht aber unter in den Beschreibungen von Ellas Gefühlen für den jungen Mann. Und die fängt Trebbin auch wirklich trefflich ein. Ein junges Mädchen auf dem Weg zur erwachsenen Frau, das ist das eigentliche Thema dieses Romans. Ostpreußen, Krieg, Vertreibung und Not treten dabei durchaus in den Hintergrund, bzw sind der Hintergrund dieser Geschichte.
Mir hat das Buch wirklich gut gefallen und als Sechzehnjährige hätte ich es wahrscheinlich verschlungen, als über Vierzigjährige fehlt mir aber ein bißchen das Salz an der Suppe bzw der Tiefgang. Trotzdem würde ich dem Roman viele Leser wünschen und dem Autor die Überlegung ans Herz legen, ob er nicht tatsächlich einmal ein Jugendbuch auf diesem Niveau schreiben möchte, denn die Gefühle von Jugendlichen  der damaligen Zeit so echt und lebendig eingefangen zu haben, ist auch eine Kunst.