Rezension

Erleuchtete Augenblicke

Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm - Selja Ahava

Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm
von Selja Ahava

Bewertet mit 4 Sternen

Wie ein Flickenteppich erscheint Anna, Alzheimer-Patientin in einem Pflegeheim, die Zeit und der Rückblick auf ihr eigenes Leben. Sie versucht sich an den Anfang zu erinnern und kehrt in Gedanken an den Ort zurück, an dem sie die glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht hat, ihrem Häuschen auf einer kleinen Insel in den Schären.

Aus Annas Perspektive erzählt die Autorin Episoden aus Annas Leben; nicht in einer chronologischen Abfolge von Ereignissen, sondern einzelne Bruchstücke, Augenblicke ihres Lebens.

Zunächst noch in länger zusammenhängenden Phasen geschrieben, wird (nach einem Schicksalsschlag) die Erzählung jedoch zunehmend sprunghaft, so wie Anna selbst auch.

Mit fortschreitender Krankheit wird Anna ruheloser, füllt ihr Leben mit erdachten Kindern (die sie sich immer gewünscht hat) und Gestalten aus Kinderbüchern und findet sich schließlich in der Realität nicht mehr zurecht. Auch  der Leser, der Anna auf ihrem Weg durch die stetig fortschreitende Krankheit begleitet, hat Mühe, den Überblick zu behalten, ist beinahe ebenso verwirrt und orientierungslos wie Anna.

Er erlebt den langsamen Prozess des Vergessens gemeinsam mit Anna. Sehr einfühlsam beschreibt Selja Ahava das langsame „Verschwinden“ des eigenen Ich. Es beginnt mit „Bildern,  … die aus ihren Halterungen sprangen…“  und endet damit, dass die Teile der Erinnerung immer kleiner werden. Zeitliche Abläufe werden unwichtig, geraten durcheinander. Die meisten Ereignisse in Annas Leben sind am Ende vergessen, genauso wie jener denkwürdige Tag „an dem ein Wal durch London schwamm“. Zum Schluss schließt sich der Kreis, es bleibt das friedliche, versöhnliche Bild ihrer Insel.

Die einzelnen Szenen sind geradezu bildlich vorstellbar, wie mit einer Kamera eingefangen.

Dieser Eindruck wird durch die schlichte, aber sehr schöne, bildhafte Sprache der Autorin hervorgerufen, eine Sprache, die zu Annas Wesen passt. Sie geht sorgsam mit Worten um, trifft stets das Wesentliche und berührt den Leser.

Man sollte sich Zeit nehmen für diesen nachdenklich stimmenden Roman und sich einfach mit der Erzählung treiben lassen. Sie macht sensibel für das eigene alltägliche (Er-)Leben.

„Es gibt keine einheitliche Geschichte, es gibt erleuchtete Augenblicke, und der Rest ist Finsternis“.