Rezension

Erschreckend und berührend zugleich

Wir Kinder vom Bahnhof Zoo - Christiane F., Kai Hermann, Horst Rieck

Wir Kinder vom Bahnhof Zoo
von Christiane F. Kai Hermann Horst Rieck

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt

Christiane ist 12 Jahre alt, sie ist gerade mit ihrer Familie nach Berlin gezogen. Ihre Eltern haben große Pläne, doch leider können sie diese nicht umsetzen.
So zieht die Familie in die Gropiusstadt. Ihre Tiere darf das tierliebe Mädchen behalten, doch sie merkt gleich, dass das Leben hier sehr anstrengend wird. Schon schnell wird ihr bewusst, dass hier in Berlin nur der Stärkere überlebt, wenn die anderen sie respektieren und sie achten, dann hat sie eine Chance.
Christiane fängt an sich herumzutreiben, gerät an Jugendliche, die Haschisch konsumieren. Da sie dazugehören möchte, schließt sie sich ihnen an. Von Hasch geht es über zu Aufputschmittel und Schlaftabletten, dann zu Trips und schon bald landet sie beim Heroin.

Sie fühlt sich in ihren Drogencliquen wohl, da sie immer friedlich sind, die Menschen scheinen einander zuzuhören, für einander da zu sein und so verliert sich Christiane in diesem Zusammengehörigkeitsgefühl.

Zuerst schnieft sie das Heroin noch, doch da sie glaubt nicht richtig zu den andern „Fixern“ zu gehören, wenn sie es sich nicht auch spritzt, versucht sie auch das.
Nun drückt sie das Heroin, doch es ist für sie in Ordnung, da sie sich immer wieder einzureden versucht, dass sie ja noch nicht abhängig ist. Und sie muss auch schließlich nicht anschaffen gehen, dies tut ihr Freund für sie.

Doch schon bald erlebt sie ihre ersten Entzugserscheinungen, den „Turkey“. Sie braucht nun mehr Dope und das Anschaffen erscheint ihr nicht mehr ganz so schlimm, solange sie mit den Freiern nicht schläft.

Christiane versinkt immer weiter Drogensumpf, entzieht mehrmals um wieder bei der Droge zu landen. Alle Tabus werden nach und nach überwunden, denn sie lebt nur noch von Schuss zu Schuss.

Ihr Körper baut ab und ihr ist jederzeit bewusst, dass der nächste Schuss schon der letzte, der goldene Schuss sein kann.

Meine Meinung

Als ich die ersten Seiten las, war ich zum einen sehr überrascht. Damals war ich noch jünger, die authentische, junge Sprache war meine. Diesen Aspekt hatte ich jedoch total vergessen. Es war sehr ungewohnt die kindliche, aber auch sehr harte Sprache zu lesen. Doch ich konnte mich relativ wieder gut hineinversetzen und fortan dem Verlauf gut folgen. Und im nach hinein muss ich sagen, dass eben die Sprache das ganze authentisch macht. Natürlich ist es nicht schön geschrieben, aber das muss so ein Buch auch nicht. Jedes glätten hätte hier einen negativen Effekt gehabt.
Dafür, dass dieses Buch aus den siebziger Jahren stammt, liest es sich noch sehr aktuell. Die Sprache hat sich natürlich verändert, einige Gegebenheiten auch, die Gesetze sind nur schärfer, denke ich, doch Drogenszenen gibt es immer noch und wahrscheinlich sind sie auch noch an den Selben Orten zu finden, wie vor 40 Jahren.

Ich konnte mich beim Lesen wieder daran erinnern, wie ich damals als Jugendlicher empfunden hatte. Auch ich strebte nach Anerkennung und war damals schockiert, wo dieses Streben hinführen konnte.
Als Erwachsener stand ich dem Ganzen ein wenig zwiegespalten gegenüber. Es mutete mir ein wenig lächerlich an, wie man sich selber so verstellen, alle eigenen Werte über den Haufen werfen kann, nur um die Anerkennung der Gruppe zu erhalten. Doch andererseits eben weiß ich noch, dass man als Jugendlicher eben anders über diese Sache denkt.
Da ich persönlich als Jugendlicher die Passagen eben sehr gut nachvollziehen konnte, dachte ich nun: Zum Glück siehst du das Ganze heute anders.
Diesen Mechanismus der Anerkennung aber nachvollziehen zu können, wenn man mit Jugendlichen zu tun hat, ist jedoch wichtig, da man anders auf sie zugehen kann. Jugendliche denken nun einmal anders als Erwachsene und alles was ihnen vorschwebt als dumm darzustellen öffnet sicher keine Türen, dies tut nur Verständnis. Daher ist ein Buch wie dieses sicher eines, das man immer einmal wieder lesen sollte um eben offen zu sein, Verständnis zu behalten und natürlich Signale sehen zu können.

Für mich ist dieses Buch absolute Pflichtlektüre für Jugendliche. Natürlich zeigt es auch auf, dass man kurzzeitig glücklich mit Drogen sein kann. So wie Christiane eben so etwas wie eine Familie gefunden hat, ihre Probleme vergessen konnte und Zeiten hatte, in denen sie sich frei und sorgenlos fühlte. Doch dies steht nicht im Vordergrund. Vor allem zeigt das Buch, die Probleme, die aus Drogenkonsum entstehen.
Der ständige Stress, den man hat, weil man weiß, dass man jeden Tag genug Geld verdienen muss um keine Entzugserscheinungen zu bekommen. Die Krankheiten, die körperlichen Antworten auf Drogen, das völlige Ablegen des Stolzes und aller Wertvorstellungen. Die Gedanken über Probleme, die immer wieder zwischendurch aufblitzen, auch wenn man sie zu verdrängen versucht.

Was hier auch sehr gut beschrieben wird sind die Lügen, die man sich selber erzählt. Dass der Abhängige jederzeit aufhören könnte, das selbst aufwerten des eigentlich erbärmlichen Zustandes, in dem man sich mit anderen Gestalten vergleicht, die weiter heruntergekommen sind.
All dies zeigt uns ein wahres und grausames Bild, dass vom Drogenkonsum abschreckt.

Auch Christianes Mutter kommt zu Wort, die einsieht, dass sie Fehler in der Erziehung gemacht hat. Jedoch wird ihr nicht jegliche Schuld zu gesprochen, ich denke die Passagen sollen als Hilfe dienen für Betroffene. Sie geben zwar keine Anweisungen, wie man es richtig machen soll, zeigen aber Fehler auf, die man nicht unbedingt wiederholen sollte. Diese Art daran heranzugehen, finde ich sehr gut, denn es gibt nicht keine universelle Lösung zum Thema „wie bekomme ich mein Kind clean“. Aber eines wird deutlich, man muss sich Hilfe suchen.

Berührend ist das Buch, da wir Christiane durch ihr Leben folgen. Christiane ist eigentlich kein schlechter Mensch, sie trifft eben nur die falschen Entscheidungen. Wir hoffen mit ihr, dass sie den Weg zurück ins Leben findet, haben Angst um sie, da die körperlichen Erscheinungen immer heftiger werden.
Ihr Gefühlsleben wird völlig offen gelegt und auch wenn eine Naivität sie begleitet, so ist doch in anderen Bereichen ganz schön abgebrüht.
Ihre Geschichte ist ein wenig traurig, da man ahnt, dass sie großen Chancen im Leben gehabt hätte, die sie sich alle verbaut hat.

Ein wenig seltsam fand ich, dass mich das Buch nicht mehr so sehr schockiert hat wie früher. Liegt es daran, dass ich älter geworden bin, daran, dass ich es nun zum zweiten Mal lese, oder an den anderen Zeiten?

 

Fazit

Ein meiner Meinung immer noch aktuelles Buch, das für mich zur Pflichtlektüre heranwachsender gehört. Es ist für Jugendliche geschrieben, doch auch als erwachsener kann man es noch gut lesen. Gerade dann entdeckt man ganz neue Aspekte.