Rezension

erschütternd

Amra und Amir - Abschiebung in eine unbekannte Heimat - Maria Braig

Amra und Amir - Abschiebung in eine unbekannte Heimat
von Maria Braig

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Buch, das wütend macht. Und nachdenklich. Eine Geschichte, die erschreckt, die einen betroffen und fassungslos macht und von der man wünscht sie sei nicht wahr. (Auch wenn es sich um eine fiktive Figur handelt, ist das Schicksal für Viele grausame Realität) Aber die Geschichte passiert. Tagtäglich. Hier bei uns in Deutschland. Die betroffenen Menschen leben mitten unter uns, oft in Angst, manchmal auch völlig ahnungslos so wie Amra, die junge Frau in dem Buch.

Geboren und aufgewachsen in Deutschland geht Amra hier zur Schule, hat Freunde, kümmert sich um ihre depressive Mutter (welche als junge Frau mit ihrem Mann, der inzwischen verstorben ist, aus dem Kosovo floh und noch immer an dem erlittenen Trauma leidet) und beginnt eine Ausbildung. Nach dem 18. Geburtstag der Schock : Sie erfährt, dass sie nur geduldet war und nun in den ihr völlig unbekannten Kosovo abgeschoben wird. Sie spricht die Sprache nicht, sie kennt dort niemanden. Alle Bemühungen ihrer Freunde die Abschiebung zu verhindern schlagen fehl und sie landet vollkommen auf sich allein gestellt in dem ihr fremden Land, von dem sie nur weiß, dass dort mit ihren Eltern Schreckliches passiert ist, sodass diese geflohen sind und ihre Mutter heute noch nicht darüber sprechen kann.

Kein Geld, keine Wohnung, keine Hilfe, keine Familie, keine Zukunft. Rausgerissen aus ihrem normalen Leben steht sie vor dem kompletten Nichts. Zwei kleine Lichtblicke gibt es. Das Smartphone ihrer Freundin in Deutschland, sodaß sie Kontakt halten kann mit den Menschen die ihr wichtig sind und die von ihrer Mutter heimlich zugesteckte Adresse eines Onkels, von dem sie nichts wußte. Sie schlägt sich zum Onkel durch, der sie aber rasch verheiraten will, damit sie als Frau versorgt ist. Entsetzt über die Rolle der Frauen im Kosovo und aus Angst, das sie das gleiche Schicksal erwartet, flieht sie und findet schließlich auf einer Müllkippe eine Zuflucht, wo sie sich von Abfällen ernährt und sich verbietet von ihrem alten Leben zu träumen, um im Neuen überleben zu können.

Das Buch ist sehr spannend geschreiben, sodass man unbedingt wissen will, wie es weitergeht (immer in der Hoffnung, dass sich alles zum Guten wendet, was es aber leider nicht tut). Es gibt Perspektivenwechsel, die sich sehr gut in den Kontext einfügen und das Buch bereichern.  Den Geschlechteraspekt hätte man, grade da es sich um Fiktion handelt, weglassen können, um sich nur auf die Abschiebeproblematik zu konzentrieren. Er ist aber so gut und schlüssig in die Geschichte eingebettet, dass er passend und nicht fehl am Platze wirkt. Die Geschichte endet sehr hoffnungslos, was um so bitterer ist, da es sich um eine Geschichte handelt, die für viel zu viele Menschen Realität ist.

Was maßen wir uns an, Menschen aus ihrem Leben zu reissen und sie in ein Dasein ohne Hoffnung, ohne Zukunft, ohne Hilfe (Sprachkurs,Wohnung,Job, Ansprechpartner) und ohne Aussicht auf eine Rückkehr zu katapultieren ? Menschen, die hier in Deutschland geboren (ich dachte, dann habe man automatisch deutsche Staatsbürgerschaft) und aufgewachsen sind, die Schule erfolgreich abgeschlossen haben, eine Ausbildung/Studium machen, werden einfach ausgewiesen, als hätten sie sich was zu Schulden kommen lassen.

Das erscheint einem so schrecklich, dass man sich gar nicht traut, sich auszumalen, wie es wäre, wenn man selbst in der Situation stecken würde. Oder sich vorzustellen, wie das eigene Leben verlaufen wäre, hätte man mit 18  in einem vom Krieg gebeutelten Land, ohne Sprachkenntnisse, völlig auf sich allein gestellt überleben müssen. Nicht nur die Trennung von allen geliebten Menschen (Mutter, Freunde etc.) wäre schlimm, sondern auch alles, was das Leben bislang sicher gemacht hat (Job, Wohnung, Krankenversicherung, Ausvildung, Zukunftsperspektiven usw). wäre weg. Man wäre nicht nur in seinen Grundfesten erschüttert, sondern man würde auch gar nicht verstehen können, was passiert ist. Jedes Gefühl von Sicherheit wäre unwiederbringlich verloren. Wenn man sich überlegt, wie das Sicherheitsgefühl von Menschen erschüttert wird, bei denen eingebrochen wurde oder die überfallen wurden, kann man sich vorstellen, dass, auch wenn eine legale Rückkehr durch z.B. Gesetzesänderungen möglich wäre, es nie wieder sein wird wie vorher. 

Warum unsere Regierung, die Behörden etc. so handeln ist mir unbegreifflich. Es sind ja keine Kriminellen, die man auf diese Weise "entsorgt", sondern trifft (auch) Menschen, die hier fleissig arbeiten, Steuern zahlen, fließend deutsch sprechen usw. Wir sollten uns schämen ! Aber wir lassen ja auch Menschen vor unseren Küsten ertrinken und hoffen, "das Problem" löst sich von selbst. Schande über uns und gut, dass es Bücher wie Amra und Amir gibt, die die Augen für diese Ungerechtigkeit mitten unter uns öffnen. Hoffen wir, dass alle, die dies Buch lesen ihre Betroffenheit in Handeln umwandeln. Wir haben schonmal wegeschaut als Menschen abgeholt und abtransportiert wurden.