Rezension

Erschütterndes Zeitdokument

Der Reisende - Ulrich Alexander Boschwitz

Der Reisende
von Ulrich Alexander Boschwitz

Bewertet mit 5 Sternen

~~Otto Silbermann ist jüdischer Geschäftsmann im Berlin der 30er Jahre. Den richtigen Zeitpunkt zur Ausreise hat er verpasst, der Sohn in Paris kann ihm keine Ausreisegenehmigung verschaffen. An den Tagen des Novemberpogroms 1938 kann er sich gerade noch aus seiner Wohnung absetzen. Notgedrungen willigt er in den Verkauf seines Geschäfts an seinen nicht-jüdischen Geschäftspartner, einem windigen Spieler, der sein Fähnchen in den Wind hängt, ein. Mit einer Aktentasche voller Bargeld, aber ohne Perspektive beginnt Silbermanns Odyssee per Zug durch Deutschland, bis er nicht nur sein Hab und Gut sondern auch seine Würde und seinen Verstand verliert.
Der Leser begibt sich mit Otto Silbermann auf diese wahnwitzige Irrfahrt, die Begegnungen Silbermanns mit den unterschiedlichsten Typen, Parteimitgliedern, Opportunisten, Mitläufern, anderen Flüchtigen, bilden ein Sammelsurium an menschlichem (und unmenschlichem) Verhalten ab.
Langsam und stetig wird Silbermann in eine Spirale des Unverständnisses und der  Ohnmacht gezogen. Dabei ist Silbermann nicht durchwegs ein sympathischer Charakter, begegnet manchen Menschen auf die gleiche Weise, wie ihm begegnet wird. Auch wenn er sich seines Verhaltens oft sofort bewusst wird, gilt es ihm doch, sein eigenes Leben zu retten.
Der Reisende ist ein erschütterndes Zeitdokument, geschrieben von dem damals 24 jährigen Ulrich Alexander Boschwitz. Schon 1939 ist das Buch in englischer Sprache erschienen. Jetzt, fast 80 Jahre später , wurde der Text in deutscher Sprache herausgegeben. Boschwitz verarbeitet in Der Reisende eigene und familiäre Erfahrungen, er selbst hat den Krieg nicht überlebt und starb auf einer Überfahrt von Australien, wo er als  „enemy alien“ interniert war, nach Europa.
Silbermanns Geschichte wird in der Sprache der damaligen Zeit erzählt, es ist ein Zeugnis  gegen das Vergessen einer unmenschlichen Zeit, geschrieben zu einer Zeit, als das ganze Ausmaß des Wahnsinns der Nationalsozialisten dem Autor noch gar nicht bekannt sein konnte.