Rezension

Erst im letzten Drittel ein Psychothriller

Wenn das Eis bricht - Camilla Grebe

Wenn das Eis bricht
von Camilla Grebe

Bewertet mit 2 Sternen

Ein Wälzer aus Schweden, dazu noch spannende Einzelthemen, ich habe wirklich viel Hoffnung in „Wenn das Eis bricht“ gesteckt und musste schnell feststellen, dass der neue Psychothriller aus dem Hause btb diese kaum nähren kann.

Der Fall, der angeboten wird, klingt ungeheuer vielversprechend, denn Köpfen ist wirklich in meinen Augen nochmal eine ganz besondere Form des Ermordens. Von daher war klar, dass wir es mit einem Täter zu tun haben würde, der nicht aus Notwehr gehandelt hat oder mal kurz im Affekt gehandelt hat. Und genau diese Täter sind es, deren Psyche ich gerne ergründe und das erwarte ich in Psychothriller einfach. Daher umso trauriger, dass dieser Fall eher wie ein Nebenprodukt wirkte, um gleich drei Figuren intensiv hinter die Birne zu schauen.

Damit kommen wir auch schon zum zweiten Problem: die Figuren. Die Figur Emma möchte ich explizit herausnehmen, weil sie auf mich von Seite 1 an eine große Faszination ausgeübt hat. Ihre Geschichte wird auch am intensivsten über mehrere Zeitstränge hinweg erkundet, so dass ich sie als Figur wunderbar greifen und nachvollziehen konnte. Aber Hanne als psychologische Beraterin und Peter als Polizist waren für mich sehr schwer zu ertragen. Hanne hatte mit ihrer Alzheimer-Erkrankung unheimlich Potenzial, aber warum musste es dann die ersten 350 Seiten nur um das Gefängnis ihrer Ehe und ihre verlorene große Liebe gehen? Im letzten Drittel, ohnehin der stärkste Teil dieses Buchs, wird diese Krankheit etwas näher beleuchtet, aber letztlich war das Thema Alzheimer hier einer schwachen Performance unterzogen. Noch schlimmer war zweifelsohne Peter, er ist für mich menschlich, aber auch in seinem Job ein einziger Versager. Seine Perspektive, die von Feigheit, Depressionen und Selbstzweifel geprägt war, war schwer zu ertragen. Hinzu kommt, dass er zum Fall eigentlich nichts beigetragen hat, außer ein paar Fragen zu stellen und Informationen weiterzugeben. Daher hat er in meinen Augen großes Potenzial in die Geschichte der überflüssigsten Buchcharaktere aufgenommen zu werden. Da wäre sein Chef Manfred als mögliche Perspektive tausendmal besser gewesen.

Nach dieser Enttäuschung, die ich doch fast 400 Seiten mit mir geschleppt habe, bietet sich auf den letzten 200 Seiten noch genau das, was ich gerne über 600 Seiten gehabt hätte. Emmas Perspektive und der Fall beginnen zusammenzuwachsen, sich gegenseitig zu erklären und dadurch entstehen einige überraschende Momente, Spannung und eine wirklich intensive Psychoanalyse eines Killers. Im Rückblick ist mir natürlich klar, dass die ersten 2/3 bis zu einem gewissen Grad so sein mussten, damit das letzte Drittel so funktioniert, aber Hanne und Peter hätte man dennoch anders darstellen können. Kritikwürdig wäre an dieser Stelle noch, dass sich all die Fragen in meinem Kopf zum Täter und zum Tathergang nicht restlos aufklären. Dieser Drang ist so intensiv, dass ich die Autorin am liebsten löchern würde.

Fazit: Ich kann jeden Leser nachvollziehen, der es bei „Wenn das Eis bricht“ nicht zum letzten Drittel geschafft hat, das als einziges das Prädikat „Psychothriller“ verdient hat. Zwar werden intensive Figurenperspektiven dargestellt, aber es ist dennoch nicht hilfreich, wenn diese Figuren bis auf eine Ausnahme unsympathisch sind und die Stimmung gewaltig herunterziehen. Schade auch, dass der vielversprechende Kriminalfall so in den Hintergrund gerät und sich nie richtig entfalten kann. Das Ende ist dann aber sehr gut gemacht, denn es macht sogar aus den 400 Seiten davor ein eigentlich rundes Bild. Aber das ist mir letztlich zu wenig, um eine klare Leseempfehlung für diesen schwedischen Psychothriller auszusprechen.