Rezension

„Es kommt der Tag, an dem der richtige Weg ins Dunkel führt, statt ins Licht.“

Dark Canopy - Jennifer Benkau

Dark Canopy
von Jennifer Benkau

Bewertet mit 5 Sternen

In einer Welt, die von Dunkelheit beherrscht wird, in der die Menschen die unterlegene Rasse sind, in der nur der nackte Kampf ums Überleben und der Hass auf den jeweiligen Gegner existiert, erkennst du plötzlich, dass es kein Schwarz und Weiß, kein Licht und Schatten gibt. Sondern nur Grau.

 

Joy ist eine Rebellin. Mit Leib und Seele. Der tägliche Kampf um ihre Freiheit bestimmt ihr Leben. Sie würde eher sterben, als sich den Percents, künstlich für den Dritten Weltkrieg gezüchteten Soldaten, zu unterwerfen. Diese haben auf der ganzen Welt die Macht über die Menschheit übernommen, nachdem jene sich selbst durch ihre eigenen Schlachten geschwächt hat. Mit einer Maschine namens Dark Canopy verfinstern sie den Tag, da sie überempfindlich auf Sonnenlicht reagieren, ihre einzige Schwäche.
Joy glaubt bereitwillig alle Geschichten über ihre sadistischen, gefühllosen Feinde, bis sie von ihnen gefasst wird. Was sie während ihrer Gefangenschaft erfährt, stellt ihre bisherige Weltsicht völlig auf den Kopf.
Und lässt sie erkennen, dass sie ihre Gegner unterschätzt hat. In mehrfacher Hinsicht.

 

Dark Canopy ist ein Phänomen und zwar in mehrfacher Hinsicht. Der dystopische Roman beginnt mit einem berühmten Zitat Albert Einsteins über die Waffen der Menschen nach dem Dritten Weltkrieg, das für die gesamte Handlung bezeichnend ist: Außer der Maschine der Percents, die den Tag in Dunkelheit hüllt, taucht in der Geschichte kaum fortschrittliche Technologie auf. Manches wird angedeutet, aber die revolutionäre Technik anderer Zukunftsvisionen sucht man hier vergebens. Das verleiht der Story eine ganz eigene Atmosphäre, macht sie bedrückend realistisch. Hinzu kommt eine Sprache, die direkt, klar und einfach und gleichzeitig so bildgewaltig ist, dass sie einen sofort gefangen nimmt und man ihr ausgeliefert ist wie Joy ihren Bewachern. Man kann sich nicht dagegen wehren, hineingezogen zu werden in diese Welt, die so erschreckend und emotional aufwühlend ist.
Die Figuren machen es einem leicht, sich in sie hineinzufühlen, mit all ihren Ecken und Kanten, den Lernprozessen, die sie durchmachen und durchmachen müssen, so schmerzlich es auch ist. Das von mir als Überschrift gewählte Zitat verdeutlicht dabei nur allzu drastisch die Erkenntnis, zu der alle Protagonisten mehr oder weniger gelangen: Nicht immer sind Gut und Böse das, was sie scheinen und nicht immer ist die Dunkelheit der falsche und das Licht der richtige Weg.

 

Denn hier in Benkaus Buch sind die „barbarischen“ Percents nicht automatisch im Unrecht und die „armen“ Menschen nicht unbedingt im Recht. Die Grenzen verwischen so sehr, dass sie sich beinahe auflösen und das, was man zu wissen glaubt, auf einmal umgekehrt wird.
Eine grausame Wendung nach der nächsten verändert mit jeder Seite das Bild des Lesers auf die Charaktere und ihre Umgebung, doch trotzdem wirken sie an keiner Stelle unrealistisch oder aufgesetzt. Niemals schüttelt man den Kopf über die dargestellte Handlung, sie zwingt einen geradezu durch ihre Eindringlichkeit, einen anderen Blickwinkel zu betrachten und zu akzeptieren. Man kann nicht anders, es ist, als hätte man eine lückenlose Beweisführung vor sich, die einen emotional packt und nicht mehr loslässt.
Der manchmal leise, manchmal bitterböse und oft so spontan lebendige Humor tun ihr Übriges dazu und sorgt dafür, dass man sich bei jeder positiven Szene wohl zu fühlen beginnt, obwohl man spürt, dass das Glück so leicht zu zerstören ist wie Joys Wilde Malve.

 

Dark Canopy wurde mir schon im Vorfeld wärmstens ans Herz gelegt und als DER Geheimtipp 2012 gehandelt. Dementsprechend hoch waren meine Erwartungen an das Buch. Und es hat sie bei Weitem übertroffen. Jennifer Benkau hat eine Welt, Charaktere und eine Atmosphäre geschaffen, die einen nach dem Beenden des Romans noch lange in Gedanken verfolgt. Und das nicht nur aufgrund des Schlusses. Die grandiosen Figuren bewegen einen, bringen einen zum Nachdenken und unterhalten einen auf eine so tiefgründige Weise, wie man es selten erlebt.
Wenn ich könnte, würde ich dem Buch wesentlich mehr als fünf Sterne verleihen, aber leider sprengt das mein Bewertungssystem. Eine wirklich überragende Dystopie voller Spannung, Witz und vor allem klarer Weisheit, die einen definitiv fesselt. Ich warte schon jetzt sehnsüchtig auf den zweiten Band, Dark Destiny.